Eine Auferstehung!

Am Wochenende fand in Oberammergau die Premiere der 42. Passionsfestspiele statt. Zum dritten Mal in Folge war Christian Stückl Oberspielleiter. Unter seiner Regie entwickelt sich das Stück vom ehemaligen Volkstheater immer mehr zur “großen Oper” (SZ). Eine Oper allerdings, bei der ein Aufwand betrieben wird, den sich mit Live-Orchester, einem 120-Mann/Frau-Chor, Gesangssolisten, vielen hundert Darstellern und einer beeindruckenden Ausstattung keine Oper der Welt leisten kann. Und eine Oper die – gerade in diesem Jahr – beängstigend aktuell ist.

Eindrucksvolle Massenszene Am Wochenende: Jesus zieht in Jerusalem ein (Foto: Birgit Gudjonsdottir)

Optisch sind die wie immer in Oberammergau grandiosen Massenszenen der vielen Hundert Beteiligten diesmal ganz in Grau/Beige gehalten. Eine bescheidene Eleganz macht sich so auf der Bühne breit. Inhaltlich hat Christian Stückl das Spiel weiter von von Anti-Judaismen befreit. Jesus wird von seinen Jüngern als “Rabbi” angeredet. Beim Abendmahl wird das Pessah-Fest-gefeiert, und neben Glaubensbekenntnis und einem angenehm pathosfreien Brotbrechen wird auch hebräisch gebetet.

Spektakuläre Action: Die Tempelreinigung (Foto: Arno Declair)

Im ersten Teil des Spiels (von 14 Uhr 30 bis 17 Uhr) wird von der offenbar friedensbewegten Jesus-Runde viel über Krieg und Frieden diskutiert. Die Jünger sind Sozialrevolutionäre auf der Seite der Armen und Unterdrückten. Stückl lässt es die ganze Zeit mitspielen, dass die Juden in Israel unter einer brutalen römischen Fremdherrschaft zu leiden haben. Ob und wie man sich dagegen zu wehren hat … darüber diskutiert Jesus viel mit seinen Jüngern: Auf den Ausruf des Apostels Thomas “Die Römer schlagen uns, und wir sollen für sie beten und sie lieben? Niemals”, erwidert Jesus:

“Das Land ist erfüllt von Krieg und Soldatengeschrei. Ein Volk erhebt sich gegen das andere und ein Königkeich gegen ein anderes. Viele werden zu Fall kommen … Fürchtet euch nicht vor den Römern. Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können: Fürchtet euch vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann! Liebt Eure Feinde!”

Keiner der über 4300 Zuschauer wird in diesen und ähnlichen Momenten nicht an die Ukraine gedacht haben. Nach der Pause, in der man oft den Witz hörte “Mal sehen wie es ausgeht?”, wandelt sich das Stück von einer friedensbewegten Hippie-Szenerie zu einem regelrechten Gerichtsthriller (20 bis 22 Uhr 20), bei dem die Geistlichkeit (Ettal liegt ja gleich nebenan) nicht sonderlich gut wegkommt. Die eigentliche Kreuzigung lässt Stückl äußerst undramatisch, fast sachlich und sehr irdisch spielen … das macht sie nicht unspektakulärer. Seine Geschichte: Hier ist ein Mensch gestorben, der den Frieden und nicht kämpfen wollte.

Die Kreuzaufstellung (Foto: Arno Declair)

Und wieso erzählen wir Ihnen das alles hier in unserem sonst streng lokalen Blog? – Weil dieses Ereignis, für das 100.000e Gäste aus der ganzen Welt erwartet werden, sozusagen fast im Dorf spielt, weil wir dort schon bei der Premiere viele Berger*innen getroffen haben und weil wir es – gerade nach zwei Jahren Corona, in denen auch von einer Pandemie hervorgebrachten Passionsspiele ausfielen – wie ein Versprechen auf einen großen Sommer erlebt haben.

Am Ende ist die Bühne leer, und obwohl bei einem Passionsspiel nicht erwünscht, bricht lauter Beifall aus, den nur ein einsames Licht auf der Bühne in Empfang nimmt. Kurz davor hatte Maria erzählt, dass Jesus auferstanden sei … dies gilt auch für das Theater selbst, das hier in Oberammergau aus den Corona-Ruinen aufersteht. Professionell und eindrücklich wie nie … auch und gerade in den berührenden musikalischen Chorpassagen, die zu den alttestamentarischen “lebendigen Bildern” erklingen (Ferngläser mitnehmen!).

Noch bis zum 2. Oktober täglich außer Montag und Mittwoch. Es gibt noch Restkarten von 30 bis 180 € unter https://www.passionsspiele-oberammergau.de/de/karten/eintrittskarten-arrangements

Nach der Auferstehung (Foto: Ammer)

Unsere Pausenkritik mit mehr Bildern aus Oberammergau finden Sie hier: https://quh-berg.de/pause-in-oberammergau/

Die Oberquh und der Oberspielleiter (Foto: Susanne Sasse)