Das betrifft Berg!

Eine kleine Sensation ist Heinz Rothenfußer, seines Zeichens ehrenamtlicher Archivar der Gemeinde Berg und für die Grünen Mitglied des Gemeinderates im neuesten “Bergblick”, dem Mitteilungsblatt der Gemeinde, gelungen. Heinz forscht schon seit Längerem an der nicht im Geringsten aufgearbeiteten Geschichte der Gemeinde in der NS-Zeit.

Die Nazi-Fahne wehte auch über Berg

Heinz Rothenfußer erzählt in seinem Artikel “Berg im ‘Dritten Reich‘” unter anderem davon, dass die Gemeinde im Mai 2021 ein Schreiben des “Museo della Deportatione” in Prato/Toskana bekommen habe. “Ob wir Auskunft geben könnten über die Zwangsarbeiterlager für italienische Kriegsgeangene in Kempfenhausen und Berg?

Die Antwort der Gemeinde fiel beschämend aus: “Das konnten wir nicht – wir hatten keine Ahnung von deren Existenz. Die Dokumente, die man uns daraufhin übersandte, ließen aber keinen Zweifel: Bürgermeister Wammetsberger bestätigte 1946 die Auflösung der Kriegsgefangenenlager 2691 in Kempfenhausen und 409 in Berg: Von 1941 bis zum Kriegsende waren Franzosen, Serben und Italiener interniert, als landwirtschaftliche Arbeitskräfte und Bauarbeiter der Firma Kunz.”

Peinlich genug, dass man in der Toskana mehr über die NS-Geschichte in Berg wusste als wir in Berg selbst. Heinz Rothenfußer hat daraufhin nachgeforscht und berichtet jetzt davon, dass das “ein Teil Zwangsarbeiter in Baracken auf dem Gelände der heutigen Milchberg-Klinik untergebracht waren (Die Baracken standen dort bis in die 60er-Jahre). Im Fall Berg spricht einiges für eine Unterbringung im Marstall, den die Gemeinde 1943 aus unbekannten Gründen ganz unvermittelt dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds abkaufte”. Ganz klar ist die Sache nicht: Wer mehr weiß oder Dokumente hat, möge sich bitte bei uns oder gleich bei Heinz Rothenfußer / Archiv Berg oder direkt unter 0178/2410953 melden.

Gemütlichkeit bei den Nazis in Berg

Heinz Rothenfußers Forschungen gehen noch weiter: Er hat herausgefunden, dass im Oktober 1944 die Todeszahlen in einer “Aktion-Brand-Klinik Kempfenhausen” von vorher durchschnittlich 15 auf fast 200 angestiegen sind. Wer es nicht weiß: In der “Aktion Brand” wurden Kranke in Heil- und Pflegeanstalten durch absichtliches Vernachlässigen getötet. Heinz Rothenfußer hat herausgefunden: “In dieser Zeit gibt es in der Klinik mit rund 200 Betten um die 150 Todesfälle pro Jahr.” – Auch diese ungeheuerliche Geschichte ist bislang völlig unbekannt gewesen. Langsam kommt eine Ahnung auf: Auch in Berg könnten ungeheuerliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sein, über die 77 Jahre lang niemand geredet hat.

2015 schrieben wir hier im Blog: “Die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit steht in Berg leider nicht unbedingt im Fokus des allgemeinen Interesses. Ganz vergessen ist beispielsweise der Berger Bürgermeister, der unter anderem auch dieses grausige Dokument unterzeichnete.”


Erlass des Berger Bürgermeisters von 1938

Auf unsere damalige Frage an die Leser: “Wer kennt noch diesen Namen?” bekamen wir nicht eine einzige (in Worten: null) Antwort. Jetzt findet sich im “Bergblick” zumindest ein Photo dieses antisemitischen Bürgermeisters:

Carl Laux, Berger Bürgermeister und Ortsbauernführer 1938-1945, rechts Reichsinnenminister (bis 1943) Wilhelm Frick / Ausriss aus “Bergblick” 1/2022, Seite 46

Reichsinnenminister und Hitlerputsch-Teilnehmer Wilhelm Frick (1946 als Hauptkriegsverbrecher nach den Nürnberger Prozessen hingerichtet) residierte übrigens feudal nebenan in Kempfenhausen in der Villa Lüderitz Friedländer (Korrektur 20.2., danke Cedric). In der “Villa Lüderitz” residierte ab 1938 die  Reichsärztekammer.  https://quh-berg.de/der-quh-adventskalender-das-21-schildchen/. Ein Vorschlag der QUH, die entsprechende Straße, die nach einem der schlimmsten deutschen Kolonialverbrecher benannt ist, in Frater-Franz-Kreis-Straße umzubenennen (Franz Kreis rettete beim 1945 persönlich Menschen aus dem Nazi-Todeszug) wurde zuletzt 2017 abgelehnt (https://quh-berg.de/ich-stelle-fest-dass-die-erste-sitzung-des-berger-gemeinderates-2017/). Auf unseren Vorschlag hin bekamen wir damals Post mit Gewaltandrohung.

Endlich hat auch in Berg die Aufarbeitung und Erforschung der Nazi-Vergangenheit begonnen. Andere Gemeinden sind da schon weiter: Für Pöcking beispielsweise gab es ein eigenes Forschungsprojekt samt einer 400-seitigen Buchveröffentlichung:

Vorbildlich: Marita Krauss & Erich Kasberger “Ein Dorf im Nationalsozialismus Pöcking 1930-1950 (Volk Verlag München)

In Berg? – Bisher Fehlanzeige. Wenn wir etwas erfahren haben, haben wir es immer hier veröffentlicht, vieles davon zum ersten Mal: Einiges zu “Berg unterm Hakenkreuz” finden Sie im QUH-Blog unter.: https://quh-berg.de/das-hakenkreuz-wehte-ueber-berg-219050221/  oder hier: https://quh-berg.de/hanns-johst-praesident-der-reichsschfttumskammer-allmannshausen-1022404334/ oder hier: https://quh-berg.de/kleinstadt-unterm-hakenkreuz-1022369326/

Die gute Nachricht: Heinz Rothenfußer und der Berger Kulturbeauftragte Andreas Ammer planen zur 1200-Jahr-Feier der Gemeinde Berg im Frühjahr auch einige Lesungen zu diesem in Berg bisher viel zu wenig erforschten Thema.


Mächtiger Anblick, aber eine plumpe Fälschung: Ein Zeppelin mit Hakenkreuzen schwebt über Höhenrain vgl:

https://quh-berg.de/post-aus-hoehenrain-219030082/

Kommentieren (3)

  1. Cedric K
    19. Februar 2022 um 9:44

    Korrektur aus Kempfenhausen. Frick bewohnte die Villa Friedlaender, das sog. Haus Ruland.

    • ammer
      20. Februar 2022 um 19:03

      Danke Cedric, irgendwie wußten wir das auch schon mal. Wir haben es verbessert. In der Villa residierte nicht der Reichsinnenminister, sondern ab 1938 die Reichsärztekammer.

  2. ammer
    20. Februar 2022 um 19:30