Die Geschichte vom Bucentaur

Wir alle kennen die Geschichte von König Ludwig II, seine Freude an Musik, seine märchenhaften Schlösser, seinen verschwenderischen Umgang mit den Staatsfinanzen. Wir begegnen ihm in Immobilienanzeigen und am Kreisel, er ist identitätsstiftend für unsere Gemeinde. Tatsächlich hatte schon 200 Jahre vor ihm das höfische Leben in Berg einen Höhepunkt erlebt mit einem Prunk, der uns heute nur noch staunen läßt.

Wo finden wir Informationen über diese Zeit und die Rolle unserer Gemeinde, die über das übliche Wikipedia Wissen hinausgehen?

Heute wollen wir stellvertretend für andere und posthum Hans Rudolf Klein zu Wort kommen lassen. HR Klein lebte von 1964 bis zu seinem Tode vor einigen Jahren in Kempfenhausen und hat sich in seiner Freizeit intensiv mit der Geschichte unserer Gemeinde beschäftigt. Unter anderem verfaßte er das faktenreiche, dennoch gut lesbare Standardwerk Die Geschichte der Hofmark Kempfenhausen, das wir für diese Geschichte heranziehen.

Der 30-jährige Krieg endete 1648, die brandschatzenden, plündernden und mordenden Landsknechte hinterließen ein ausgeblutetes Land. Unerwartet schnell erholte sich Bayern von den Auswirkungen, es wurde sogar in Betracht gezogen, eine Kolonie in der Nähe von New York zu erwerben.


Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern – genannt der Friedliebende – mit seiner Gemahlin Henriette Adelaide (Gemälde von Sebastiano Bombelli 1666). Wer solche Schuhe trägt, hat auch andere schrille Ideen.

Als Dank für die Geburt des Thronfolgers Maximilian II Emanuel im Jahre 1662 gab der Kurfürst nicht nur Schloss Nymphenburg und die Theatiner-Kirche in Auftrag, sondern betraute auch italienische und hiesige Schiffbauer damit, ihm ein Prunkschiff für den Starnberger See zu bauen.


Der Bucentaur – Gemälde von Karl Stephan

Der Bucentaur nach venezianischem Vorbild des bucintoro oder buzzo d’oro (= goldener Bauch), erbaut 1662 bis 1665. Mit einer Länge von 29 Metern, einer Breite von 8,4 Metern und einer Höhe von 5 Metern (ohne Masten) ungefähr so groß wie die heutige Bernried. Der Tiefgang von nur 0,9 Metern erlaubte den Einsatz in Ufernähe, 80 Ruderer mit vergoldeten Rudern hielten das Schiff bei jeder Windlage auf Kurs.

Als neues Juwel der kurfürstlichen Lustflotte spielte der Bucentaur die zentrale Rolle bei den höfischen Festen rund um den Starnberger See. Diese Schloss- und Seefeste, insbesondere die Hirschjagden im Uferbereich zwischen Kempfenhausen und Berg, waren Gesprächsthema des europäischen Adels und zogen Besucher aus ganz Mitteleuropa an. Sie standen den Festen des französischen König Ludwig XIV in nichts nach.

Die Hofgesellschaft wurde auf einem eigens angelegten und reservierten Fahrweg – dem sogenannten Fürstenweg – von der Münchner Residenz an den Starnberger See gefahren. Insgesamt 18 Schranken stoppten den Querverkehr und erlaubten eine angenehme Reise.


Kurfürstliches Seefest mit Bucentaur – Ignaz Bidermann 1738

Bei großen Anlässen waren 450 bis 500 Personen – Gäste, Hofleute, Diener und Mannschaften – an Bord. Wenn im Tafelzimmer gespeist wurde, hatten die Küchenschiffe, das Keller- und das Sommelierschiff beizudrehen. 1671 wurde gar ein 18-tägiges Fest mit Turnieren, Feuerwerken, Jagden, Festessen, Schauspielen und Opern gefeiert, die Festlichkeiten nahmen die gesamte nörd-östliche Seefläche ein. Die Vorbereitung und der Ablauf dieser Feste sind bei HR Klein sehr anschaulich beschrieben. Eindrucksvoll sind die detaillierten Verpflegungslisten mit alten Bezeichnungen für Geflügel und lokale Fische. Hier ansässige Bauern, Fischer und Handwerker konnten sich ein gutes Zubrot verdienen.

Zusätzlich zu seinen Schlössern Starnberg und Possenhofen ließ Kurfürst Ferdinand ab 1676 das Schloss Berg als Anlegeplatz für den Bucentaur bauen. Zwei Jahre später kaufte er das Schloss Kempfenhausen mit den dazugehörigen Ländereien. In seinem Forstenrieder Park ließ er Hirsche aussetzen, die von Treibern und Hunden durch einen eingezäunten breiten Gang südlich um Harkirchen bis hin zum Etztal getrieben wurden. Dort öffnete sich der schmale Gang trichterförmig zum See und ließ den Tieren keine andere Wahl, als ins Wasser zu stürmen, wo sie von der Jagdgesellschaft empfangen wurden.

Aber eine Frage kann auch HR Klein nicht beantworten: Was mögen die Hofherren vom Sattlerhof (heute Will), vom Clausenhof (heute Gastl), vom Schusterhof (immer noch Schuster), von den harkirchener Höfen und den anderen Höfen über dieses Treiben gedacht haben? Sie waren zur Zeit der Feste schon einige Jahrhunderte auf ihren Höfen und lebten ein völlig anderes Leben als die aufgepuderte Hofgesellschaft. Aber das ist eine andere Geschichte.

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