Asyl in Berg: Standortbestimmung

Die Arbeit des Berger Asylhelferkreises unter der Leitung von Iradj Teymurian wurde häufig gewürdigt. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, Hoffnungen wurden enttäuscht, diese Enttäuschungen mussten verarbeitet werden. Aber es gibt auch neue Perspektiven. Was erhofft man sich für die Zukunft? 

Iradj Teymurian auf der Bürgerversammlung

Der Berger Asylhelferkreis besteht derzeit aus 116 eingetragenen und davon 83 aktiven Mitgliedern. Zeit für ein Resümee. Der Helferkreis schickte uns ein ausführliches Interview mit Iradj Teymurian, das wir hier in voller Gänze veröffentlichen.

Wo stehen wir in der Begleitung der Asylbewerber in Berg?

Eine Standortbestimmung vorzunehmen heißt innezuhalten, zurückzuschauen und nach vorne zu blicken. Beginnen wir mit dem Blick zurück: Wie begann Ihr Engagement für die Asylbewerber in Berg?

Als 2012 die ersten Flüchtlinge kamen, waren es bei uns sechs junge Männer, Kurden aus der Türkei und dem Irak. Sie blieben nur ein halbes Jahr in Berg. Schon damals war eine Helfergruppe tätig, kümmerte sich vor allem um die Deutschkurse. Als diese Asylbewerber nach Starnberg und Gauting verlegt wurden, hielt ich auch dort weiter Kontakt zu ihnen und sammelte wichtige Erfahrungen.
Dann wurden weitere Flüchtlinge in Unterberg einquartiert. Die Helfergruppe wurde wieder zusammengerufen und bildete den Kern einer wachsenden Zahl von Helferinnen und Helfern in der Flüchtlingsbegleitung. Als dann der große Zustrom einsetzte, konnten ohne Zeitverzögerung die anstehenden Aufgaben angepackt werden. Es war ein großer Vorteil, dass der Helferkreis bereits aktiv war, als die Asylbewerber in großer Zahl bei uns eintrafen.

Aufgrund Ihrer Erfahrungen konnten Sie die neuen Aufgaben mit klaren Zielsetzungen angehen und so manche Fehler, Missverständnisse und auch Enttäuschungen, die Sie bei anderen Helferkreisen wahrnahmen, vermeiden. Welche Ziele waren das?

Das Leitmotiv für unsere Arbeit ist, unsere „Gäste“ – so nennen wir sie ganz bewusst – möglichst rasch so weit zu fördern, dass sie sich bei uns nicht mehr fremd fühlen müssen. Das gilt in erster Linie für den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse. Dazu kommt der für Einheimische selbstverständliche Umgang mit alltäglichen Herausforderungen, die uns erst auffallen, wenn wir sie bei anderen vermissen und das Irritationen und auch Ärger auslöst. Dazu ein paar Beispiele: Wie geschieht das Einkaufen im Supermarkt-„Basar“? Welche Höflichkeitsgesten tragen zu einem guten Miteinander bei? Wann ist im Krankheitsfall die Anmeldung in der Arztpraxis angezeigt, und was ist ein Notfall, der den Ruf des Rettungswagens rechtfertigt? Es geht um das Kennenlernen der Lebensweisen, Sitten und Gebräuche im Gastland, um sich so im eigenen Verhalten sicherer fühlen zu können und unnötige Störungen im Miteinander zu vermeiden. Genau darum geht es auch, wenn wir von unseren ‚Gästen‘ sprechen: Sie sollen eine Gastfreundschaft erleben können, die es ihnen erleichtert, im fremden Land anzukommen, und sie sollen sich möglichst bald sicher und respektvoll im Umgang mit ihren ‚Gastgebern‘ verhalten können.
Unser Ziel war von Anfang an: Hilfe zur Selbsthilfe, Stärkung der Eigenverantwortung, aktives Sich-Einbringen in die anfangs so fremde deutsche Gesellschaft. Von Anfang an ging es uns darum, dem ‚Helfersyndrom‘ samt der Verfestigung von Erfahrungen des Versorgt-und-verwöhnt-Werdens zu widerstehen. Gäste werden nicht „gepampert“, sondern in ihrer Eigenständigkeit und Eigenverantwortung ernst genommen und gefördert.

Beim Norouz-Fest in Aufkirchen

Mit welcher Unterstützung konnten Sie bei der Umsetzung Ihrer so einleuchtenden wie auch anspruchsvollen Ziele rechnen?

Wir bekamen zum Glück von Beginn an viel Unterstützung. Ich nenne einige Beispiele: Die Gemeinde Berg, die evangelische Kirchengemeinde wie die katholische Pfarrgemeinde, der Gasthof Die Post in Aufkirchen, das Hotel Schloss Berg stellen uns unentgeltlich Räume zur Verfügung. Die Kolpingsfamilie stellte im letzten Jahr den gesamten Erlös aus ihrer Altpapiersammlung dem Helferkreis zur Verfügung. Viele Einzelpersonen tragen mit Spenden zur Erfüllung der Aufgaben bei oder fragen gezielt nach, was an Gegenständen benötigt wird. Es gab anfangs auch negative Äußerungen in Mails, aber die wurden bei weitem von den positiven Zeichen des Verständnisses und der Hilfsbereitschaft überdeckt. Das gab und gibt uns die Energie, die wir für unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter brauchen. Es ist ein gutes Gefühl, in dieser Arbeit nicht allein zu stehen.
Das haben wir auch erfahren, als es galt, die neu errichtete Container-Anlage wohnlich zu gestalten – mit Hecken und Bäumen, mit einem „Dorfplatz“ in der Mitte, mit Sitzmöglichkeiten, Spiel- und Grillplatz, mit einer TV-Antennenanlage.

Wenn sie den jetzigen Stand mit den Anfängen vergleichen: Inwieweit haben Sie Ihre anfangs gesteckten Ziele erreicht?

Im Blick auf meine eigene Biografie als Migrant hatte ich mir vorgestellt, dass in etwa eineinhalb Jahren die Integration gelungen sein müsste. Das heißt also: kein Dolmetscher ist mehr nötig; selbstverantwortliches Familienleben in einer eigenen Wohnung; Eingewöhnung in Arbeitsprozesse usw. Diese Ziele musste ich allerdings inzwischen korrigieren. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass die Spannbreite in der Vorbildung, Lernfähigkeit und –bereitschaft der Asylbewerber sehr groß ist. Bei den meisten dauert das Erlernen der deutschen Sprache doch wesentlich länger als vermutet. Es stimmt nicht – wie teilweise behauptet -, dass über 50% der Flüchtlinge Akademiker seien, über 70% das Abitur mitbringen. Bei uns in Berg sind es nur etwa 5%, die eine höhere Bildung als 10 Schuljahre aufweisen können. Auf der anderen Seite der Skala sind viele, die erst einmal das Lesen und Schreiben in ihrer eigenen Muttersprache erlernen müssen. Viele der Kinder waren zu Hause noch nie in einer Schule. Das erschwert den Integrationsprozess deutlich. Die Leistungsanforderungen in den Sprachkursen müssen deshalb erheblich differenziert werden. Neben den Standardzielen der allgemeinen Volkshochschulkurse brauchen wir Kurse mit einem noch viel langsameren Vorgehen.
Besonders gefreut hat es uns, dass ein vom Helferkreis finanzierter eigener Sprachkurs für zwölf Jugendliche neben dem Schulunterricht zum Bestehen der Aufnahmeprüfung für die Berufsschule geführt hat.

Spielt neben der Vorbildung und Lernfähigkeit auch die Lernbereitschaft, also die Motivation zum Lernen eine gewichtige Rolle?

Ja, durchaus. Die Lernbereitschaft ist aus meiner Sicht das noch viel größere Problem. Vielen der Flüchtlinge ist die bei uns weitgehend selbstverständliche Ausrichtung auf die berufliche Zukunft hin fremd. Dass bei uns Kinder von klein auf in der Entfaltung ihrer Begabungen zielgerichtet gefördert werden, steht im Gegensatz zu einem Leben im Hier und Jetzt. Alles dreht sich da darum, dass es einem ‚jetzt‘ gut geht. Was für ‚morgen‘ nötig sein wird, ist nicht im Blick. Dieser Unterschied in der Lebenseinstellung wiegt meines Erachtens schwerer als das nötige Erlernen von Verhaltensweisen und Kenntnissen. Es geht um die Fähigkeit und Bereitschaft zu einer Lebensplanung, die für ein erfolgreiches Leben in unserer westlichen Leistungsgesellschaft überlebenswichtig ist. Ich vermute, dass das Erlernen dieser Fähigkeit etliche Jahre braucht, weil das bisherige Muster des Lebens im bloßen ‚Jetzt‘ noch tief verankert ist.

Können Sie diesen Konflikt an Beispielen veranschaulichen?

Da wurde zum Beispiel vereinbart, dass der Vater sein Kind um 16 Uhr im Kindergarten abholt. Der Vater erschien nicht, nicht wegen Vergesslichkeit oder mangelnder Verantwortung, sondern weil der Sinn für Zeitplanung, ein in die Zukunft gerichtetes Zeitverständnis fehlt.
Gravierend ist das im Blick auf Vorsorgemaßnahmen. Wozu sollen Versicherungen gut sein? Wozu Impfschutz für die Kinder? Wozu etwas lernen, ohne das man jetzt doch ganz gut zurechtkommt? Meines Erachtens sind etliche gut gemeinte Helferaktivitäten in diese Fall getappt, indem Fürsorglichkeit das Leben im ‚Hier und Jetzt‘ noch unterstützt hat. Manchmal frage ich mich, ob für manche oder sogar etliche Flüchtlinge das zukunftslose Leben in der Gegenwart nicht zum unüberwindlichen Hindernis für eine gelingende Integration sein wird, ob sie mit unseren zukunftsorientiert-planenden Einstellungen jemals glücklich werden können.

Inwiefern wirkt sich dieser Gegensatz der Lebenseinstellungen auch auf die Motivation der Helfer aus?

Viele Helfer sind frustriert, zum Teil auch abgesprungen, weil Absprachen nicht eingehalten wurden, weil ihr Bemühen um zukunftsorientierte Integration auf Unverständnis gestoßen ist. Aus dem Deutschunterricht haben wir da allerdings viel bessere Rückmeldungen. Die Notwendigkeit zum Deutsch-Sprechen ist gegenwartsrelevant. Fortschritte sind Schritt für Schritt erkenntlich und nachweisbar.
Aber im Blick auf die Helfer gilt auch: Sie bekommen mit der großen Dankbarkeit ihrer Schützlinge viel zurück. Freilich, die Früchte ihrer Arbeit sind vielfach jetzt noch nicht zu sehen. Die werden sich so richtig erst in Jahren zeigen. Verständlicherweise sind in Flüchtlingsfamilien mit Vorbildung die Früchte leichter wahrzunehmen als bei anderen, die leider die Mehrheit sind. Eltern mit eigenen Bildungskompetenzen sind gute Vorbilder für ihre Kinder, geben ihnen so Zielorientierung und Motivation zum Lernen mit.

Nach dem Rückblick auf bisherige Erfahrungen schauen Sie nun auch auf die Zukunft der Flüchtlingsarbeit. Gibt es neue Herausforderungen zu bedenken?

Mit den nun nach und nach getroffenen Entscheidungen über die Asylanträge ist die Zeit des angespannten Wartens für viele vorbei. Mit den häufigen ablehnenden Bescheiden sind heftige Enttäuschungen verbunden. Die Asylbewerber ohne Bleiberecht fallen in ein tiefes Loch, ziehen auch andere mit hinein. Auch die Helfer! Die fragen sich: War alle aufgewendete Mühe umsonst? Helfer springen ab. Um den Bleibenden zu helfen, haben wir zwei Supervisionskurse für sie eingerichtet und weitere sind geplant. Eigentlich stand ja die mögliche und sogar oft wahrscheinliche Abschiebung von Anfang an im Raum. Aber im Laufe der Monate sind doch enge soziale Bindungen entstanden. Die Flüchtlinge sind oft wie Familienmitglieder geworden; die drohende Abschiebung rückte in den Hintergrund, wurde zu wenig internalisiert.

Renée Bieri, Qamar Shazad, Rashid Jutt, Iradj Teymurian, Qadeer Sultan, Christa Weisweiler

Ergeben sich in dieser Situation auch neue Aufgaben für die Helferkreise?

Pakistani haben nur sehr geringe Chancen auf ein Bleiberecht. Die meisten sind aber bereits in Arbeitsprozesse integriert. Die Enttäuschung über die negativen Bescheide versuchen wir ins Positive zu wenden: Ob und wie können wir den Zurückkehrenden dabei helfen, sich in ihrer Heimat eine neue Existenz aufzubauen? Wie können sie die in Deutschland gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen für die Wiedereingliederung zu Hause nutzen? Welche Hilfen können diesen Prozess unterstützen? So hat z.B. ein Asylbewerber in einer Pizzeria gearbeitet und trägt sich nun mit der Idee, zu Hause eine Pizzeria zu eröffnen. Wie können wir ihm dort zu einem Pizza-Ofen verhelfen? Es gilt sehr genau zu überlegen, wie solche Hilfen aussehen können. Welche Kontakte können genutzt oder aufgebaut werden?

Derzeit arbeiten wir an dem Projekt, eine Übungswerkstatt für Holz- und Metallverarbeitung zu eröffnen. Da werden auch Fachkenntnisse in den Heimatländern benötigt. Die demnächst Zurückkehrenden sollen – von Fachleuten, zumeist solchen im Ruhestand – angeleitet werden, das zu erlernen, was sie in ihrer Heimat gut anwenden können. Vielleicht könnten in dieser Projektwerkstatt auch Bänke entstehen, welche die Gesamtanlage der Container noch wohnlicher machen. Das begonnene Arbeitsleben hier in Deutschland soll mit der Perspektive des Neuanfangs in der Heimat eine möglichst effektive Ausrichtung bekommen.
Für ein weiteres Gemüsegarten-Projekt erwarten wir eine Förderung durch das Landwirtschaftsministerium. Wenn die Helfer-Patenschaften über die geografische Distanz hinweg weiterbestehen könnten, ist das auch eine neue Motivation für die Helfer selbst. Das können kleine Bausteine in der großen politischen Aufgabe sein, die Lebensverhältnisse in der Heimat der Flüchtlinge zu verbessern.

Gibt es auch neue Helferaufgaben für die Flüchtlinge, die das Bleiberecht erhalten haben?

Eigentlich müssten diese Einzelpersonen und Familien die Asylbewerber-Unterkunft verlassen und eine Wohnung finden. Verständlicherweise gestaltet sich das als äußerst schwierig. In unserem Landkreis leben derzeit 370 Flüchtlinge mit Bleiberecht in Unterkünften, die für Asylbewerber bestimmt sind. Als in Berg vor Monaten in einem Haus für solche Flüchtlinge der Mietvertrag auslief, war es äußerst schwierig, eine neue Wohnung zu finden. Derzeit leben fünf Familien mit Bleiberecht noch in der Container-Unterkunft oder dezentralen Wohnungen. Hier geeigneten Wohnraum zu finden, bringt die Helfer schnell an ihre Grenzen. So gesehen sind die Aufgaben für die Helfer viel schwieriger geworden. In der Hilfe zur Selbsthilfe, in der Stärkung des Willens zur Integration, der eigenen Sorge für sich selbst und ihre Familien konnten und können sie viel leisten. Herausfordernder ist es, geeignete Arbeitsplätze ausfindig zu machen, ganz besonders für die gering Qualifizierten. Da sind viele, viele Gespräche mit potentiellen Arbeitgebern nötig. Die dritte Aufgabe, bei der Wohnungssuche behilflich zu sein, führt allerdings schnell an die Grenzen des Helferengagements.

Trotz dieser Hürden betonen Sie: Auch angesichts großer Schwierigkeiten geht das Helferengagement weiter. Was motiviert dazu auch weiterhin?

Das sind zum einen die Rückmeldungen unserer Gäste, in denen sie ihre Dankbarkeit für hilfreiche Unterstützung zum Ausdruck bringen. Dazu gehören auch die jetzt schon erkennbaren Früchte des Engagements bei etlichen Erwachsenen und noch mehr bei den Kindern.
Was zum Weitermachen ermutigt, ist auch die Unterstützung durch viele Personen im Ort, sei sie finanzieller Art oder auch als Anerkennung und Wertschätzung der geleisteten Arbeit. Dazu trägt auch bei, dass anfänglich noch bei manchen spürbare Vorbehalte und auch Vorurteile gegen die ehrenamtlichen Hilfen zur Integration der Asylbewerber gänzlich geschwunden sind und keine Rolle mehr spielen.
Im Helferkreis springt das Feuer der Begeisterung für diese Arbeit immer wieder neu von einem zum anderen über. So sehe ich auch meine Aufgabe darin, dieses Feuer am Brennen zu halten, damit es uns auch weiterhin gegenseitig ansteckt – auch wenn die Aufgaben schwieriger werden.