“Herrlich, dass in Berg endlich mal wieder so viel los ist!”, jubelte eine der Besucherinnen gestern bei der Lesung aus “Die andere Seite”, der Chronik von Paul Huber, die dieser im Dritten Reich über Berg verfasst hat. Die Veranstaltung im Rahmen der von Kulturbeauftragten Andreas Ammer organisierten Berger Festwochen Berg1200 räumte endgültig mit der oft gehörten Behauptung auf, dass die Nazis bei uns auf dem Land kaum Widerhall gefunden hätten. Im Gegenteil! In den vier Kapiteln der Lesung, die von Gemeinderat und Archivar Heinz Rothenfußer unter Mitwirkung Berger Legenden wie Ralf Maier vom OGBV organisiert worden war, wurde deutlich, dass die Nazis gerade in Berg besonders präsent waren.
“Die andere Seite” von Berg – Bei schönstem Frühlingswetter ein voller Rittersaal!
70 Seiten umfasst die Chronik “Die andere Seite”, die Paul Huber in der Nazizeit über die Gleichschaltung eines Dorfes verfasst hat. Als er 1939 Besuch von der Gestapo bekam, schilderte er diesen Besuch noch, versteckte das Manuskript in Martinsholzen und verstummte. Vier Kapitel aus diesem Werk kamen in Kempfenhausen zur beeindruckenden Aufführung. Die Akteure um Heinz Rothenfußer lasen mit verteilten Rollen vor, wie in Berg die Wahlen manipuliert wurden, wie der Berger Oberbereichsleiter und Nationalsozialist der ersten Stunde, Karl Sudholt, die Berger schikanierte und alle Vereine gleichschaltete.
Stramm und feist: die Nazis Müller und Karl Sudholt
Paul Huber hält sich nicht zurück. Seine Chronik beginnt mit den Worten: “Die andere Seite! … Von was denn? Nun ja, die andere Seite unserer Nazis meine ich; nicht jene auf welcher der Dr. Goebbels steht und das Weihrauchfass schwingt, umgeben von einer zahllosen Schar kleinerer Weihrauchschwinger, die alle mitschwingen müssen zur Verherrlichung unseres Gottsobersten, unseres unvergleichllichen, herrlichen Adis ...”
Huber bezeichnet Goebbels als einen “nachgedunkelten Schrumpfgermanen” und er nennt Namen, Berger Namen: Wie sogar der Stegwart von Leoni, der G…l Peter (Name der QUH bekannt), dann doch in die Partei eintrat, um seinen Job zu behalten. Andererseits: “Der Stegwart von Berg, der März Wastl ließ sich nicht einschüchtern und ist doch heute noch Stegwart.” Dann erzählt Huber, wie er sich weigerte, in die Partei einzutreten, weshalb er 1933 als Bürgermeister zurücktreten musste. “Als einziger Nicht-Nazi war jetzt noch Ullmann Gustav von Aufkirchen im Gemeinderat. … Auch war er nunmehr der einzige Gemeinderat, der noch mit Sachkenntnissen belastet war.””
Stolze Berger Nazis präsentieren sich am Bismarckturm
Laute Lacher gab es im Publikum, als Heinz Rothenfußer die Notate über seinen Großvater vorlas: “Dafür zogen neue Männer in den Gemeinderat. Da war der Bäckermeister Rothenfußer von Aufkirchen, ein braver Mann, aber dumm, sehr dumm. Er wurde zweiter Bürgermeister.”
Johann Rothenfußer zur Nazizeit 2. Bürgermeister von Berg
Dann wurden noch beängstigende Geschichten von der planmäßigen “Gleichschaltung der Vereine” vorgetragen. Nicht einmal der Veteranen- und Kriegerverein wurde von der flächendeckenden Nazifizierung Bergs verschont. Auch Geschichten vom Widerstand wurden erzählt: So konnten die Berger (in Gestalt von Müllersteffl & Huberpaul) ihrem Bereichsleiter Sudholt sogar die Wahlfälschungen nachweisen. Mit der Geschichte vom Gestapobesuch beim Huber Paul, den dieser ins Absurde führte, endete der beeindruckende Abend.
Der Berger Kulturbeauftragte und der Organisator des Abends waren sich einig: Diese Chronik muss endlich veröffentlicht werden!
Extreme politische Botschaften auf Berger Straßen
Beim Heimfahren sahen die extremen politischen Botschaften, mit denen die Berger Staatsstraße bemalt worden waren, noch beängstigender aus. Unbekannte haben das russische Kriegszeichen Z auf die Straße gemalt … die Polizei hat den Buchstaben zumindest so weit verändert, dass die ursprüngliche Botschaft nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen ist.
Nachtrag … Nun hat der Vorverkauf für die Konzerte in der Johanniskapelle (“Praying” am 1.7. mit dem Vibraphonisten Karl Ivar Refseth; für das Konzert gibt es wegen der Enge in der Kirche nur wenige Karten!) und für das Musikfestival “Alien Disko” am 19.6. in und um die Villa de Osa (u.a. mit der Hochzeitskapelle, Maxi Pongratz, Ichi, G. Rag und den Landlergschwistern & der deutsch-japanischen Supergroup Spirit Fest) doch bereits begonnen. Karten erhalten sie in der Drogerie Höck und in der Buchhandlung Schöner lesen. Sichern Sie sich die Karten, das Gastspiel von Luise Kinseher ist leider bis auf wenige Restkarten an der Abendkasse längst ausverkauft).