Sollte die nächste Bundesregierung ein Tempolimit beschließen, dürfte es der norwegische Bassist Per Mathisen schwer haben. Die von ihm am Bass gespielten NpM (Noten pro Minute) erreichten am Samstag zum Abschluss des 8. Seejazz-Festivals nämlich schwindelnde Höhen. Die größte Sensation aber war es, dass das Festival überhaupt stattfinden konnte.
Unfassbar schnell: Per Mathisen (Bass), Nguyen Le (Gitarre), Gary Husband (Schlagzeug) im Pöckinger “beccult”
Wegen der Pandemie mussten die Veranstaltungen fast alle im wunderbaren Pöckinger Kulturzentrum Beccult stattfinden, dessen Lüftung fünfmal in der Stunde die Saalluft austauscht. Das Abschlusskonzert führte die drei Ausnahmejazzer Per Mathisen (Bass), Nguyen Le (Gitarre) und Gary Husband (Schlagzeug) zusammen auf die Bühne. Es war zu spüren, dass die drei gleichberechtigten Musiker (keiner war Begleitung, jeder war Solist) noch nicht oft zusammen gespielt hatten. Veranstalter Bernhard Sontheim (im Brotberuf musikbegeisterter Bürgermeister von Feldafing) erzählte hinterher, dass er noch am Nachmittag Notenblätter für das Trio kopieren musste. Und so war die Ankündigung von Per Mathisen wahr, dass sie das Stück, das es als Zugabe gab (eine Jazzversion des Orchesterwerks “Adagio for Strings” des klassischen amerikanischen Komponisten Samuel Barber) noch nie gespielt hätten. Per wies noch darauf hin, dass das Original ziemlich langsam sei, dass seine Truppe es aber rasant schnell spielen würden … was eher untertrieben war.
Zur zweiten Zugabe, die das begeisterte Publikum – mit konstant gebührendem Abstand – dem Trio abtrotzte, war der Band dann das gemeinsame musikalische Material ganz ausgegangen. Kein Problem für Jazzer: Man improvisierte zusammen ein rasantes Funk-Instrumental, bei dem sich die Musiker teils fragend, aber immer lachend gegenseitig anstachelten. Bei einer langsamen Komposition des vietnamesisch-französischen Gitarristen Nguyen Le hatten sich zuvor schon einmal alle drei die Brillen aufgesetzt, um die neuen Noten mitzulesen. Der Spielfreude tat das keinen Abbruch.
Selbst der größte Fan: Seejazz Organisator Bernd Sontheim photographiert “seine” Band
Besonders war – neben der beängstigenden Virtuosität der Musiker, denen man es anmerkte, dass sie froh waren, endlich wieder einmal spielen zu dürfen – die Auswahl des musikalischen Materials. Neben Eigenkompositionen und freien Improvisationen spielte man unterschiedlichste Stücke: Samuel Barber, eine Kompositionen von Michael Jackson (“Up the wall”) oder Filmmusik (programmatisch: Hans Zimmers “Now We Are Free” aus dem Film “Gladiator”). Viel Szenenapplaus.
Fast hatten wir es schon vergessen, wie schön live gespielte, laute, schnelle, schrille und virtuose Musik sein kann. Leider gibt es am Ostufer keine Örtlichkeit, an der solche Events coronagerecht in dieser Größe stattfinden können. Im Herbst wird der Verein “Jazz am See” weiter versuchen ,Konzerte zu veranstalten. Immer gemäß ihres grandiosen Vorsatzes, “weil auch wir uns in der Verantwortung sehen, die Kultur in unserem Land wieder hochzufahren, auch wenn dies mit einigen Einschränkungen, vor allem aber mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden ist.” – Danke!