Dass wir in Bayern, insbesondere in Berg, auf einer Insel der Seligen leben, wissen wir nicht erst seit Corona. Und selbst in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen geht es uns hier gut – wir sind versorgt, haben Zugang zu Lebensmitteln, Hygieneartikeln, zum Internet. Was derzeit niemand darf, ist reisen. Die Ziele so mancher vergangener Reisen spuken als Erinnerung durch die Köpfe oder als Fotos über die Bildschirme.
Corona woanders: Ein Blick nach Südafrika (Foto: Zubair Sayed, auf Instagram: #zubairsay )
Ein beliebtes Reiseziel für so manche Berger war Südafrika – man besuchte Golfplätze und Weingüter oder unterstützte auch schon mal Freunde von Freunden mit Fußballtrikots oder beim Hausbau. Doch wie sieht es jetzt dort aus? Was passiert in den Townships jenseits der Golfplätze? Wir fragten einen Neuberger aus Südafrika.
Am Bismarckturm: David Africa mit seiner Frau Dr. Corinna Arndt, den Zwillingen und Hund (Foto: Claudia Krause)
Seit knapp zwei Jahren wohnt der südafrikanische Sozialwissenschaftler David Africa mit seiner Frau Dr. Corinna Arndt und ihren fünfjährigen Zwillingen hier in Berg. Er ist in Manenberg aufgewachsen, einem der ärmsten Viertel Kapstadts. Ein Großteil seiner Familie lebt noch dort. Wie überall in Südafrika gelten in Manenberg seit drei Wochen strikte Ausgangsbeschränkungen. Jetzt sind bei vielen Menschen die Nahrungsmittelreserven aufgebraucht. Seit einer Woche versorgt seine Schwester Gillian Kinder der nahe gelegenen Grundschule mit Essen, deren Eltern das derzeit nicht mehr können. Gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemeinde Berg bitten sie die Berger um Unterstützung durch Spenden.
Wir haben David Africa um ein Interview gebeten:
QUH: Herr Africa, Sie sind in Manenberg geboren, einem Ort, der durch den Jazzmusiker Abdullah Ibrahim weltberühmt geworden ist. Können Sie uns Manenberg beschreiben?
David Africa: Manenberg wurde in den 1960er Jahren in der sandigen Ebene vor den Toren Kapstadts errichtet für sogenannte ‘Coloureds’ (Farbige), die vom Apartheid-Regime aus ihren Wohngegenden in der Kapstädter Innenstadt vertrieben worden waren, um diese für die ‘weiße’ Bevölkerung freizumachen. Manenberg ist extrem dicht besiedelt: 50.000 Einwohner zusammengepfercht auf einem Zehntel der Fläche von Berg. Die Arbeitslosenrate liegt weit über 50%, es gibt ein riesiges Drogenproblem. Seit den 1970er Jahren wird der Ort außerdem von kriminellen Gangs terrorisiert, die sich in dieser zwangsweise zusammengewürfelten Gemeinschaft etablieren konnten.
Gleichzeitig ist Manenberg der Ort, wo ich enge Freunde gefunden habe, wo Familien leben und sich lieb haben, wo die Leute täglich aufeinander angewiesen sind und deshalb sehr solidarisch miteinander umgehen. Meine Schwester ist nicht die Einzige, die sich engagiert, wenn Menschen in Not sind. Für sie ist das einfach: Wenn Kinder hungern, dann muss man ihnen zu Essen geben.
Anstehen bei der Essensausgabe
QUH: Sie haben selbst im Widerstand gegen die Apartheid Ihre Jugend geopfert und Ihr Leben riskiert, als schwarze Schüler in den 1980ern für Gleichberechtigung und gegen Rassentrennung kämpften. Seitdem hat sich in Südafrika politisch viel verändert. Wie wachsen Kinder in Manenberg heute auf?
David Africa: Es ist nach wie vor schwer für sie. Weil es kaum Möglichkeiten für Eltern gibt, einen würdevollen Job zu finden, ist es schon unter ‘normalen’ Umständen nicht einfach, für Kinder zu sorgen. Dann gibt es das ständige Risiko eines Abrutschens der Kinder in die Kriminalität, dazu die regelmäßig aufflammenden Bandenkriege. Es gibt Tage, da herrscht in Manenberg Krieg. Jedes Kind weiß, wie sich Pistolenschüsse anhören, zwei von drei Achtzehnjährigen waren bereits Zeuge eines Mordes. Natürlich gehen die Kinder zur Schule, sie treiben Sport in der Freizeit. Aber all das kann jederzeit von tödlicher Gewalt unterbrochen werden. Die Qualität der Schulen ist mies, aber immerhin bekommen die Kinder dort ein warmes Mittagessen, was viel wert ist.
Das alles geht mir oft durch den Kopf, ich spreche mehrmals pro Woche mit meiner Schwester. Durch die Corona-Ausgangssperre haben Eltern reihenweise ihre informellen Jobs verloren und können kaum noch Essen kaufen. Die Regierung geht international exemplarisch mit der Corona-Krise um, aber die Ärmsten der Armen fallen bisher komplett durchs Raster.
David Africa mit seiner Schwester Gillian und den Zwillingen in Kapstadt
QUH: Jetzt hat Ihre Schwester entschieden, deshalb selbst aktiv zu werden und Essen an die Kinder der benachbarten Grundschule zu verteilen. Was für ein Mensch ist Gillian?
David Africa: Sie kümmert sich ständig um Andere, sie ist eine Macherin. Immer mit irgendeinem Projekt im Ort beschäftigt, alles ohne Bezahlung. Sie hat jahrelang im Krankenhaus ausgeholfen, sie hat Gemüsegärten angelegt, sie besorgt kranken Leuten die Medikamente und engagiert sich seit Ewigkeiten in unserer alten Grundschule gegenüber, der Manenberg Primary School.
Die Kapstädter Familie: David (l), Gillian (r) und die Zwillinge inmitten ihrer Manenberger Cousins
QUH: Für wie viele Kinder kocht Gillian im Moment, und wer bezahlt das?
David Africa: Die Schule hat 800 Schüler, von denen normalerweise 610 auf die staatliche Schulspeisung angewiesen sind. Die wurde aber auf zwei Tage die Woche reduziert, weil ja wie hier alle Schulen geschlossen sind. Gillian hat ein paar Nachbarinnen zusammengetrommelt. Sie teilen ihre eigenen Vorräte, bitten im Ort um Nahrungsmittelspenden und bekommen Geld von Familie und Freunden außerhalb. Trotzdem müssen sie jeden Tag hunderte von Kindern abweisen. Es ist hart.
Sie würde gern viel mehr tun und hat auch das Zeug dazu. Es kostet 50 Cent, ein Kind mit zwei Mahlzeiten am Tag zu versorgen. Wenn wir 6000 € zusammenbekommen, dann können wir garantieren, dass kein Kind an dieser Schule für die nächsten vier Wochen hungern muss. Danach entspannt sich die Corona-Situation hoffentlich wieder. Wenn wir träumen dürften, dann würden wir das Projekt in den verbleibenden neun Grundschulen Manenbergs kopieren.
QUH: Ist das nicht eigentlich die Aufgabe der südafrikanischen Regierung?
David Africa: Natürlich ist es das. Aber die ist in der momentanen Krise finanziell und organisatorisch völlig überlastet. Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass sich das in den nächsten Wochen ändern wird. Die Kinder können aber nicht warten.
QUH: Wie würden Sie sicherstellen, dass die Spenden der Berger auch tatsächlich so schnell wie möglich dort ankommen, wo sie gebraucht werden?
David Africa: Wir freuen uns sehr, dass die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde in Berg uns unterstützt. Spenden können auf deren Spendenkonto überwiesen werden und gehen dann direkt an das Manenberg People’s Centre, einen etablierten gemeinnützigen Verein mit ordentlicher Buchhaltung. Ich kenne viele der Leute persönlich, die das Centre seit 30 Jahren leiten; wir sind zusammen im politischen Widerstand aufgewachsen, und ich vertraue ihnen. Das People’s Centre hat Gillian schon seine Großküche zur kostenlosen Nutzung angeboten und seinen Fahrdienst, um das Essen an die Kinder auszuliefern. Wir tun auf unserer Seite, was wir können.
Alltag in Manenberg (Foto: Zubair Sayed, auf Instagram: @zubairsay )
QUH: Ist es nicht schwierig für Sie manchmal, dieser Spagat zwischen unserem Alltag in Berg und dem harschen Leben in Manenberg?
David Africa: Ich lebe ein Leben, das jedem Menschen zustehen sollte. Aber es ist mir natürlich ständig bewusst, wie privilegiert wir sind, was wir für ein Glück haben. Ja, wir sind in einer Krise, aber niemand hier muss sich darum Sorgen machen, dass seine Kinder deshalb hungern. Unsere Zwillinge zu Hause lieben ihre Tante in Manenberg und ihre Cousins und Cousinen dort, sie erinnern sich an die Strände von Kapstadt. Als meine Frau ihnen neulich erklärte, warum wir zwei ständig von Corona und Manenberg reden, meinte mein Sohn: “Dann ziehen wir eben nach Manenberg und bestellen für jedes Kind eine Obstkiste!” Naiv, klar. Lustig vielleicht. Aber ihm war völlig klar, dass man da nicht einfach wegschauen kann und zurückgehen in seine eigene Normalität.
QUH: Vielen Dank für das Gespräch. Wenn Sie, liebe Berger, das ähnlich sehen, dann können Sie Gillian hier unterstützen:
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Berg
VR-Bank Starnberg-Herrsching-Landsberg (BIC: GENODEF1STH)
Spendenkonto: IBAN DE11 7009 3200 0004 7129 86
Bitte als Verwendungszweck “Kapstadt” angeben (wichtig!). Spendenquittungen werden ab 200 € ausgestellt, um die Buchhaltung der Kirchgemeinde nicht zu überlasten.
Wir halten Sie selbstverständlich über das Projekt auf dem Laufenden!
Anbei finden Sie eine englische Version des Interviews:
Handing out food to the children
That fact that, in Bavaria in general and Berg in particular, we live on a kind of island of the blessed is something we have known long before Corona hit us. Even under lockdown we are doing just fine. We are well cared for, have access to food and hygiene products – and to the internet. What we are not allowed to at the moment is to travel. And so the images of travels past are roaming through memories and popping up on screens. One much-loved destination for one or the other Bergian has been South Africa – with visits to golf courses and wine estates, and some have in the past supported friends of friends by sourcing football jerseys or helping with the building of houses. But what is going on there at the moment? And what is happening in townships just behind the golf courses?
For nearly two years, David Africa, a social scientist from South Africa, has been living in Berg together with his wife, Dr. Corinna Arndt, and their 5-year old twins. He grew up in one of the poorest and most violent townships of Cape Town, a place called Manenberg. Most of his family still live there, including his sister Gillian. Like the rest of South Africa, Manenberg has been under a strict lockdown for 3 weeks, and by now people there are desperate for food. Gillian has started feeding children at her local primary school whose parents can no longer provide for them. Together with the Lutheran Church in Berg they are appealing for donations at this critical time. We asked David Africa for an interview.
QUH: Mr. Africa, you were born in Manenberg, a place that was made world-famous by the Jazz pianist Abdullah Ibrahim . Can you describe Manenberg to us?
David Africa: Manenberg was established in the 1960s in the dusty Cape Flats on the outskirts of Cape Town, primarily as a ‘dumping ground’ for coloured (mixed race) people displaced from their inner-city neighbourhoods by the Apartheid government. It is densely populated with more than 50.000 people crammed into an area 1/10th of the size of Berg. Unemployment is well over 50%, drug abuse is rampant. Since the 1970s Manenberg has been terrorised by violent gangs who took hold in a community whose social ties had been raptured.
At the same time, this is the place where I made life-long friends, where families live and love each other and where people survive day-to-day by relying on a strong sense of neighbourhood solidarity. My sister Gillian is not the only one who just takes action when no one else does: When children go hungry, they need to be fed.
QUH: You yourself sacrificed your youth and risked your life as an anti-Apartheid activist when black students rose up against injustice and segregation in the 1980s. Politically much has changed since then in South Africa. What is life like for a child growing up in Manenberg today?
David Africa: It is hard. Because there are so few opportunities for parents to obtain dignified work, their ability to take care of their children are limited even under ‘ordinary’ circumstances. And then there is the gang violence, it is like a war zone there at times. Our children are right in the middle of it. Every child in Manenberg is familiar with the sound of gun fire, many have been killed in cross-fire. Two out of three 18-year olds have witnessed someone being murdered. Of course, kids go to school, they play sports. But all of this can get interrupted by violence at any point. The schools don’t provide quality education, but at least they offer lunch and provide a relief for many children from hunger.
I think about it often and speak to my sister several times a week. Now, three weeks into the lockdown, people have lost their informal jobs and are running out of food. The South African government’s response to the Corona outbreak has been exemplary, but their efforts to help the poorest of the poor who have neither savings nor jobs have been dismal.
QUH: Now your sister Gillian has taken matters into her own hands to start cooking meals for young children at her local school. Tell us about your sister, what kind of person is she?
David Africa: She is a very caring person, and she likes to get things done. She is always involved in some sort of project to help the community, for no material reward. For years she volunteered at the local hospital, she helped establish community food gardens, she goes to collect medication for sick people, and for a long time she has been active in the school across the road from my family’s house: Manenberg Primary School.
QUH: How many children is she providing with food, and with what resources?
David Africa: The school has 800 students, 610 of them are eligible for the government school feeding scheme – which has now been cut back to only two days a week because schools have been shut. So Gillian got together with some neighbours, started buying and collecting food like maize meal, rice and beans. Currently they are making breakfast and lunch for 200 children, five days a week. That’s all they can afford, using their meagre resources and some financial assistance from friends and family outside Manenberg. They have to turn away hundreds of children every day. It is heart-breaking.
She’d love to do much more, and she could. It costs 50 Cent to provide a child with two decent meals per day. We are hoping to raise 6000 € to make sure that no child at Manenberg Primary School will go hungry for at least month. Hopefully, after that the situation will ease up. And if we could dream, we would replicate this for the other nine primary schools in Manenberg.
QUH: Isn’t what you are trying to do the job of the South African government?
David Africa: Indeed it is, but this crisis is so overwhelming that the government’s thin resources are overstretched. They haven’t yet found effective ways of getting support to poor communities, and I am certain it won’t happen any time soon. These kids can’t afford to wait.
QUH: If people in Berg were willing to lend a hand, how are you going to make sure these funds will get to where they are needed?
David Africa: We are very happy that the Lutheran Church in Berg has agreed to support us. Donations can be made directly into their bank account and will then be sent through to the Manenberg People’s Centre, a well-established charity in Manenberg with proper accounting procedures. I know personally many of the people who have been running it for 30 years; we grew up together as community and student activists, and I trust them. The Manenberg People’s Centre has offered their large kitchen to Gillian, as well as logistical support to distribute the food to the children. We’ll do our best to help them on our side.
QUH: Isn’t it strange for you sometimes to navigate between these two worlds: the comfort of Berg and the harsh realities of Manenberg?
David Africa: I live a life that any decent person should be able to live. But yes, I am constantly reminded of our level of privilege and good fortune. We are in a crisis, but none of us will have to worry about their children starving because of it. Our twins like meeting their aunt and cousins from Manenberg, they love the Cape Town beaches. When my wife explained to them why we were constantly talking about Corona and Manenberg my son’s response was, “So let’s move there and order a fruit basket for everyone!” Naive, yes. Funny, maybe. But there was no question for this little guy that we cannot just look away and go back to our own normal.
If you feel similarly, please consider donating to Gillian’s school feeding project here:
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Berg
VR-Bank Starnberg-Herrsching-Landsberg (BIC: GENODEF1STH)
Spendenkonto: IBAN DE11 7009 3200 0004 7129 86
Please use “Kapstadt” as a reference (very important!). Tax receipts will be issued for donations from 200 € upwards (to avoid overwhelming the church administrator).
And we on QUH will, of course, keep you updated on the project!