Arzt in Quarantäne: Dr. Biemer im Gespräch

Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, sind naturgemäß besonders gefährdet, sich mit dem Corona-Virus anzustecken. Dr. Matthias Biemer aus Aufhausen, der seine hausärztliche Praxis in Berg hat, und seine Familie hat es erwischt. Sie sind wieder gesund, müssen aber noch in Quarantäne bleiben. Daher bietet er in der kommenden Woche eine Online-Sprechstunde an. Dr. Biemer hat sich freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung gestellt. Lesen Sie den Erfahrungsbericht eines betroffenen Arztes mit seiner Familie.

Dr. Matthias Biemer und seine Familie in Quarantäne

QUH: Herr Dr. Biemer, nun hat es Sie als Hausarzt selbst erwischt. Wurden Sie routinemäßig getestet oder hatten Sie oder Ihre Familie Symptome?
Dr. Biemer: Zuerst gab es einen Verdacht auf eine mögliche Infektion eines Mitarbeiters. Wir hatten als reine Vorsichtsmaßnahme die Praxis geschlossen und uns unter Quarantäne gestellt. Wir hatten davor, schon seit über zwei Wochen, mit Mundschutz, Schutzausrüstung und besonderen Vorkehrungen bzgl. möglicher infizierter Patienten alles unternommen, um das Infektionsrisiko zu minimieren.
Der Verdachtsfall hatte sich dann auch zum Glück als negativ herausgestellt und alle Mitarbeiter wurden ebenfalls negativ getestet.
In dieser Zeit, bereits unter Quarantäne, traten dann in meiner Familie leichte Symptome wie Halskratzen, Erschöpfung, Geschmacks- und Geruchslosigkeit auf, zuerst bei den Kindern, dann bei uns Erwachsenen. Dies hat mich dann dazu veranlasst, uns nochmal als Familie alle testen zu lassen.

Dr. Biemer bei der Durchführung der Abstriche vor der Praxis

QUH: Wie haben Sie die Corona Infektion erlebt? Wie war der Verlauf?
Dr. Biemer: Tja, da standen wir dann nun! Meine Frau und ich waren positiv und meine Kinder negativ, die hatten wohl den Virus schon verdaut! Doch während es meinen Kindern wieder richtig gut ging, traten bei uns die Symptome deutlich stärker zu Tage.Wir fühlten uns vollkommen erschöpft, gelegentlich mit Schwindel, hatten sehr niedrigen Blutdruck, überhaupt keinen Geschmacks- oder Geruchssinn mehr und Halskratzen, aber kein Fieber und auch kein Husten.

Wir mussten uns mit der Organisation der Praxis, online und per Telefon sowie Online-Schule, Gymnasium und Grundschule, den Tag, soweit es ging, einteilen. Das sind dann neue Herausforderungen, sowohl für das W-Lan wie auch für uns alle! Psychologisch hielt man sich mit möglichst guter Laune (was nicht immer gelang!) und physisch mit täglichen Hochdosis-Vitamin-C-Infusionen, Vitamin D, Zink und Eisen sowie möglichst vitaminreicher und leichter Kost über Wasser. Vielleicht hat uns diese Therapie einen ziemlich milden Verlauf beschert, aber die Erkrankung selbst war wirklich nicht so schlimm. Man hatte nur ständig das Gefühl, etwas drückt auf die Brust, und die Lunge hat gebrannt.

 

 

Das Kräftezehrende war aber die Ungewissheit: Wie verläuft die Erkrankung? Ist es hoffentlich nur mild oder wird es noch schlimmer, sind die Kinder wirklich schon durch oder erwischt es sie dann doch noch? Die plötzliche Abhängigkeit, wer führt die Hunde Gassi, wer holt essen, wie geht es mit der Arbeit weiter, wer kümmert sich um meine Patienten, etc., all das erfordert ein gutes Nervenkostüm und eine gegenseitige Unterstützung. 

 

QUH: Arbeiten die Berger Ärzte zusammen oder ist das gar nicht nötig? Kann man sich gegenseitig entlasten? Haben Sie überhaupt Kontakt zueinander?
Dr. Biemer: Da ich hier aufgewachsen bin und dies seit meiner Kindheit meine Heimat ist, möchte ich nirgendwo anders diese Krise mit meiner Familie durchstehen als hier daheim. Ich hatte und habe mit den ärztlichen Kollegen in Berg eine tolle Zusammenarbeit! Bei einer Gemeinde mit knapp 8000 Einwohnern und einer Überversorgung an Ärzten sind wir natürlich jetzt in einer tollen Situation, dass wenn einer ausfällt, dies von anderen Kollegen aufgefangen werden kann.
Natürlich gehört dazu Vertrauen und eine gute Zusammenarbeit! Doch mittlerweile denke ich schon, dass es in Berg gut funktioniert, und wir nützen dies auch regelmäßig, sowohl mit den Fachärzten wie auch mit den hausärztlichen Kollegen. Man trifft sich und hält auch den engen telefonischen Kontakt, privat wie auch beruflich. Wir haben in unserer Gemeinde ja die tolle Situation, dass fast jede Facharztrichtung vor Ort vertreten ist.
Das habe ich besonders mit der Praxis Dr. Watzek und Kollegen seit Anfang meiner Niederlassung so erlebt. Wir haben uns zum Beispiel immer schon gegenseitig im Urlaub oder bei Diensten vertreten. So kann man auch die jeweiligen Ressourcen besser nutzen und die Patientenversorgung sicher stellen.
Gerade in so einer Ausnahmesituation ist ein gut funktionierendes Netzwerk, eine gute, kollegiale und auch fachärztliche Zusammenarbeit, mit einem kurzen Dienstweg besonders wichtig.
Sollte die Krise nun schlimmer werden, wäre es gegebenenfalls sinnvoll die Kräfte und die Ressourcen zu bündeln und sich noch enger gegenseitig abzusprechen, wer was und wie übernehmen kann.
Als Vorstand der Allmannshauser Feuerwehr erlebe ich ja hier genau das Gleiche. Eine gute Zusammenarbeit ist in einer Gemeinde unbedingt nötig, und es profitieren dann alle davon. Aktuell erfahre ich mit meiner Familie diese unglaubliche Solidarität und Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft, sei es von Freunden, Nachbarn, Kollegen, Patienten oder auch nur von bisher Unbekannten, die ihre Hilfe anbieten und füreinander da sind. Das ist wirklich auch was Schönes in diesen außergewöhnlichen Zeiten. 

Vorher: Einsatz schon mit Mundschutz

QUH: Halten Sie die Maßnahmen der Regierung für gerechtfertigt oder für überzogen?
Dr. Biemer: Die Regierung und die Politik hat besonders in Bayern gut reagiert, wenn auch etwas zu spät! Gegebenenfalls hätte man gleich nach den Faschingsferien besonders mit den Schulschließungen beginnen sollen. Die aktuellen Maßnahmen sind absolut richtig, um die mögliche explodierende Zahl an akuten Infektionen über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Wir wissen ja leider nicht genau, wie viele es wirklich mit starken Verläufen treffen wird, und keiner möchte so eine Situation wie aktuell in Italien, Spanien oder den USA. Zum Glück ist unsere Intensivmedizin sehr gut aufgestellt, und auch die Kliniken haben gut vorgearbeitet! Auch unter meinen positiv getesteten Patienten gab es schwere Verläufe, welche zum Glück aber alle auf dem Weg der Besserung sind.
Nach Ostern, gegebenenfalls mit dem neuen Testverfahren, bei welchem man dann feststellen kann, ob jemand bereits die Erkrankung durchlaufen hat und nun immun ist, wird man sehen, wie sich die Zahlen entwickeln. Aller Voraussicht nach wird es dann bei einer großen Anzahl an milden Verläufen und bereits gesund Immunen hoffentlich zu einer Lockerung der Ausgangslage kommen. Nur so erreicht man auf Dauer eine gewisse Immunität der Gesellschaft und damit eine Reduktion der Ausbreitung. Doch wird es sich noch deutlich länger hinziehen, als es uns lieb ist. 

QUH: Würden Sie empfehlen, beim Einkaufen eine selbstgemachte Mund-Nasen-Maske zu tragen?
Dr. Biemer: Hier gibt es ja alle möglichen Theorien. Ich sehe das sehr pragmatisch. Wenn ich als Chirurg meine Arbeit mache, trage ich meistens einen Mund-Nasen-Schutz,  nicht um mich vor dem Patienten zu schützen, sondern um den Patienten vor meinen Keimen zu schützen!
So sehe ich auch das Tragen einer selbstgemachten Maske lieber, als wenn jemand gar nichts trägt. Wenn wir in der Dritten Welt arbeiten, haben wir auch nur selbstgemachte Mund-Nasen-Masken aus Baumwolle, welche immer wieder abgekocht werden. Es ist besser als gar nichts. Und die mittlerweile produzierten Gesichtsschilde bieten ebenfalls immer noch einen besseren Schutz als gar keinen!
Wenn wir die Ausbreitung reduzieren möchten, dann kann ich nur empfehlen, immer wenn man in die Öffentlichkeit geht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Auch ein Stoffschal würde die Verbreitung des Virus etwas reduzieren. Im Internet gibt es da ja mittlerweile die tollsten Ideen. Man könnte sogar über Handschuhe nachdenken, wenn weiter Seife und Desinfektionsmittel knapp werden, empfehlen würde ich auch das!

QUH: Was glauben Sie, wie viele Berger Bürger – die noch nicht getestet wurden – bereits infiziert sind?
Dr. Biemer: Ich hoffe möglichst viele, denn das würde bedeuten, dass es ähnlich wie bei uns in der Mehrzahl nur zu milden Verläufen gekommen ist, und wir können bald eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen bekommen.
Nichts für ungut, aktuelle Zahlen vom Freitag, den 03.04.2020, sagen, dass es in unserer Gemeinde 24 positiv getestete Fälle gibt. Ohne Ausgangsbeschränkungen und Schutzmaßnahmen würde jeder in einer Zeit von durchschnittlich 7-8 Tagen circa 2-3 weitere Personen angesteckt haben. Man kann es sich dann selber ausmalen, wie es wäre, wenn wir nicht diese Maßnahmen hätten und in welcher Geschwindigkeit sich der Virus ausbreiten würde. Und nicht jeder hat einen milden Verlauf …
Da würde dann auch unser Gesundheitssystem in Knie gehen.

QUH: Coronaverdacht in Berg – wie sollte man handeln?
Dr. Biemer: Wenn man den Verdacht hat, erkrankt zu sein oder unklare Symptome hat, sollte man sich zuerst telefonisch oder per Videosprechstunde mit seinem Hausarzt in Verbindung setzen. Alle Ärzte hier in der Gemeinde sind diesbezüglich die Ansprechpartner. Finden kann man die Telefonnummern und Angebote in Google, Jameda und Telefonbuch oder Tageszeitung.

QUH: Gibt es in Berg eine Corona-Test-Stelle?
Dr. Biemer: Leider nicht. Wir haben und werden an unserer Praxis weiter testen, sobald wir wieder arbeiten dürfen und solange unsere Schutzausrüstung reicht.
Genauso machen dies auch die anderen Kollegen. Diesbezüglich auch hier bitte sich erst an den Arzt Ihres Vertrauens wenden. Dieser kann dann entweder selbst testen oder Sie an eine Teststelle überweisen. Für uns wäre dies der Drive-In in Andechs, man bekommt dann über den zuweisenden Arzt einen Termin und eine Nummer, mit welcher man sich dort testen lassen kann.
Man kann sich aber auch, sollte der Hausarzt nicht erreicht werden können, selbst über die 116 117 informieren.
Die neu eingerichtete Teststrecke in Münsing gilt als Entlastung für den Raum Bad Tölz – Wolfratshausen, hier sollte man sich dann an die Hausärzte, die in diesem Landkreis sitzen, wenden.

QUH: Wo würde man anrufen oder in welche Klinik würde man fahren, wenn Symptome auftreten?
Dr. Biemer: Auch hier würde ich zuerst empfehlen, sich mit seinem Hausarzt telefonisch oder per Videosprechstunde in Verbindung zu setzen. Sollte dieser nicht erreicht werden können, dann sollte man sich ebenfalls an die 116 117 wenden.
Einfach so, mit leichten oder mittelstarken Symptomen in die Klinik zu gehen, würde ich nicht empfehlen, da diese teilweise schon am Limit arbeiten und nur noch die schweren Fälle aufnehmen.
Sollte man sich sehr schlecht fühlen oder plötzlich starke Symptome haben, sollte man sich über die 112 in eine Klinik bringen lassen. 

QUH: Wie geht es bei Ihnen weiter?
Dr. Biemer: Leider müssen wir noch eine weitere Woche in Quarantäne bleiben. Wir werden in dieser Zeit (außer Karfreitag) über eine Videosprechstunde von 09.30 bis 12 Uhr, unter www.drbiemer.de, erreichbar sein. Telefonisch kann man uns auch unter 0151-11198114 erreichen. Weiterhin vertritt uns auch die Praxis Dr. Watzek.
Da es uns von Tag zu Tag besser geht, hoffen wir, dass wir bald negativ sind und ab dem 14.04.2020 dann hoffentlich immun und neu gestärkt unseren Patienten wieder zur Verfügung stehen können.
Vielen, vielen Dank für die Unterstützung und den Zuspruch, gemeinsam werden wir da durchkommen – mit möglichst wenig Schaden!
Bleiben Sie gesund und halten Sie durch!

QUH: Vielen Dank für das offene Gespräch und alles Gute Ihnen und Ihrer Familie weiterhin!