Hereingeschossene Nachricht: der bayerische Ministerpräsident wurde erschossen!

Er hat nur gut 100 Tage regiert und in dieser Zeit mehr verändert als 739 Jahre vor ihm die Wittelsbacher und nur wenige in den 100 Jahren nach seiner Ermordung. Deshalb machen wir heute eine Ausnahme und berichten ausnahmsweise über ein überregionales Ereignis: die Erschießung des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner heute vor genau 100 Jahren in München. Ohne dieses Ereignis sähe die Weltgeschichte womöglich anders aus.

Tödlich: Kurt Eisner geht zu Fuß in in den Landtag (1919)

Er war auf dem Weg zu seinem Rücktritt. Es hatte Morddrohungen gegeben. Aber entgegen der Warnung seiner Mitarbeiter nahm Eisner am 21. Februar 1919 um 10 Uhr Morgens zum Landtag den gewohnten Fußweg entlang der Promenadestraße (heute Kardinal-Faulhaber-Straße). Die erste demokratische Wahl in Bayern, für die er verantwortlich war, hatte er verloren. Seine Rücktrittsrede hatte er in der Tasche. 105 Tage zuvor, am 8. November 1918 hatte er Bayern zum Freistaat erklärt und die 739-jährige Herrschaft der Wittelsbacher in Bayern nach einer unblutigen Revolution beendet. Er hatte Ludwig III. zur Abdankung gezwungen.

Kurt Eisners Reformen sind bis heute Kern des modernen Staates.

Er begründete nicht nur die erste Republik in Deutschland, sondern führte in Bayern demokratische Wahlen ein. Er gab den Frauen dabei erstmals ein Stimmrecht. Er verkündete den Acht-Stunden-Arbeitstag ebenso ein wie die Pressefreiheit und beendete die kirchliche Schulaufsicht.

Seine Ermordung durch den Studenten Graf Arco-Valley, der ihn aus kürzester Entfernung in Kopf und Rücken schoß, dürfte die Weltgeschichte entscheidend verändert haben. “Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher,” führte der antisemitische Student Arco als Begründung für seine Tat an. Sie ist damit ein frühes Aufflackern des militanten Antisemitismus, und einer Fremdenfeindlichkeit, die Deutschland zerfressen sollte. “Fake” war die Begründung obendrein: Eisner war gebürtiger Berliner. Die antisemitische Geisteshaltung hinter dem Mord führte die zivilisierte Welt 20 Jahre später in ihre größte Krise: in den 2. Weltkrieg.

Zunächst stürzte die Tat Bayern in ein Chaos … die nächsten Schüsse folgten in der anschließenden Landtagssitzung. Es kam in der Folge zu diversen gewalttätigen Auseinandersetzungen, im April 1919 zur kurzen bayerischen Räterepublik, darauf sogar zu einer kurzen kommunistischen Regierung, dann zu deren blutiger Niederschlagung, schließlich zum Nationalsozialismus.

Bis heute gilt Kurt Eisner, der zeitlebens ein gewaltverachtender Idealist geblieben war, als Revolutionär in Bayern nicht als Held, sondern als verdächtig. Es gibt in München am Attentatsort nur ein unscheinbares Bodendenkmal, das an ihn erinnert. Noch 1969 wehrte sich die CSU vehement dagegen, dass in Neuperlach eine Straße nach ihm benannt werden sollte. Erst diese Woche hat sich der Starnberger Kulturausschuss fast einstimmig gegen den Antrag der Grünen entschieden, die Kaiser-Wilhelm-Straße, die an einen militaristischen Preußen erinnere, zu Ehren des Freistaatbegründers umzubenennen – wegen des unverhältnismäßigen Aufwands. Selbst die SPD, der Eisner als USPD-Angehöriger bis heute verdächtig ist, stimmte letzte Woche gegen eine solche Ehrung. Dabei trug die Straße im Revolutionsjahr 1919 schon einmal diesen Namen.

Einer der letzten Sätze Eisners – nach der Warnung zu Fuß zum Landtag zu gehen – war: “‘Man kann einem Mordanschlag auf die Dauer nicht ausweichen, und man kann mich ja nur einmal totschießen…”. 100.000 Münchner nahmen an seinem Begräbnis teil. Die zeitgenössischen Filmaufnahmen finden Sie hier im Bundesarchiv: https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/574061?set_lang=de .

Heinrich Mann sagte bei der Trauerfeier für Kurt Eisner im Münchner Odeon: “Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht, als die fünfzig Jahre vorher. Sein Glaube an die Kraft des Gedankens, sich in Wirklichkeit zu verwandeln, ergriff selbst Ungläubige.

Der Mörder wurde nach nur 4 Jahren Festungshaft als Nationalheld freigelassen und machte darauf u.a. als Direktor der staatlichen Süddeutschen Lufthansa Karriere.

R.I.P Kurt Eisner (1867-1919), Ministerpräsident, Revolutionär und Idealist

Nachtrag: der stellvertretende SPD-Landrat Tim Weidner hat uns seine Stellungnahme gegen eine Umbenennung der Starnberger Straße zukommen lassen, die wir im Kommentar hier gerne und dankend in Gänze veröffentlichen. Tenor: “Wenn bei einer Umbenennung der Straße über „Kaiser Wilhelm“ oder „Kurt Eisner“ geredet wird , muss die Antwort eigentlich „Friedrich Ebert“ heißen.

Weidner schreibt aber auch: Kurt Eisner … “ist für mich ein revolutionärer Idealist und Teil unserer Geschichte – der bayerischen sowie der Geschichte der SPD. Schließlich war er nicht nur langjähriges Parteimitglied sondern hat zeitweise sein Gehalt als Redakteur bei sozialdemokratischen Zeitungen („Vorwärts“, „Münchner Post“ und „Fränkische Tagespost“) verdient.

Eisner hatte die glorreiche Idee, Bayern nach dem Ende des 1. Weltkriegs als „Freistaat“ (gemeint war „Republik“) auszurufen. Deshalb habe ich im Stadtratsausschuss darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, die Erinnerung an ihn in Ehren zu halten. Eisner ist, in meinen Augen, ein würdiger Namensgeber für eine Straße in Starnberg. Da in absehbarer Zeit in der Stadt neue Straßennamen zu vergeben sind, wird Eisner, so der einstimmige Beschluss, berücksichtig werden.

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  1. quh
    22. Februar 2019 um 15:26

    Der stellvertretende Landrat der SPD Tim Weidner hat uns seine Stellungnahme zur Frage einer Kurt-Eisner-Straße zukommen lassen, die wir hier gerne und dankend veröffentlichen:

    “Eine Straße um zu benennen ist immer schwierig. Ich bin der Ansicht, dass man eine derartige Entscheidung nicht über die Köpfe der betroffenen Anwohner und Gewerbetreibenden treffen sollte. Niemand der dort Befragten hat sich für eine Umbenennung ausgesprochen, selbst Pfarrer Dr. Koch als Vertreter der evangelischen Friedenskirche nicht (nachzulesen in der örtlichen Presse).
    Ich selbst habe mein Büro in der Prannerstraße in München und werde jeden Tag an Kurt Eisner erinnert. Er ist für mich ein revolutionärer Idealist und Teil unserer Geschichte – der bayerischen sowie der Geschichte der SPD. Schließlich war er nicht nur langjähriges Parteimitglied sondern hat zeitweise sein Gehalt als Redakteur bei sozialdemokratischen Zeitungen („Vorwärts“, „Münchner Post“ und „Fränkische Tagespost“) verdient.
    Eisner hatte die glorreiche Idee, Bayern nach dem Ende des 1. Weltkriegs als „Freistaat“ (gemeint war „Republik“) auszurufen. Deshalb habe ich im Stadtratsausschuss darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, die Erinnerung an ihn in Ehren zu halten. Eisner ist, in meinen Augen, ein würdiger Namensgeber für eine Straße in Starnberg. Da in absehbarer Zeit in der Stadt neue Straßennamen zu vergeben sind, wird Eisner, so der einstimmige Beschluss, berücksichtig werden.
    Es ist in meinen Augen aber nicht in Ordnung, dieses Thema ohne historische Einordnung zu behandeln. Die Art und Weise wie die Grünen hier vorgegangen sind, lehne ich ab. Ich denke, es ist in so einem Fall geboten, die Frage zu stellen, ob bei einer Umbenennung (die realistischer Weise zu keinem Zeitpunkt eine Aussicht auf Umsetzung hatte, da eine Mehrheit weder bei den Anwohnern noch im zuständigen Ausschuss zu erwarten war) oder ob bei einer Neubenennung auch an andere Persönlichkeiten gedacht werden müsste, die möglicherweise größere Helden der Demokratie sind(?).
    Blickt man auf andere Städte, ist diese Frage eindeutig beantwortet: Nach meiner Recherche gibt es wenige Städte in Bayern mit einer Kurt-Eisner-Straße (z. B. in München, Nürnberg überlegt), aber sehr viele Städte mit einer Friedrich-Ebert-Straße (z. B. München, Augsburg, Ingolstadt, Regensburg, Bayreuth, Schwabach, Schwandorf, Kitzingen, Schweinfurt, etc. etc.).
    · Ebert ist – wenn man sich die Umstände der Anerkennung des Versailler Vertrags in Deutschland betrachtet – derjenige, der den Frieden erkämpft und über Jahre bewahrt hat, denn es ist v. a. Ebert zu verdanken, dass es nicht zu einer Beendigung des Waffenstillstands und einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gekommen ist, die viele weitere Tote und Verwundete sowie wahrscheinlich eine Besetzung Deutschlands und damit auch Bayerns zur Folge gehabt hätte.

    · Ebert ist der Weichensteller und langjährige erfolgreiche Bewahrer der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Es ist dem Rat der Volksbeauftragten unter Eberts Leitung zu verdanken, dass in Deutschland das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger, der 8-Stunden-Arbeitstag, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeführt sowie das Ende der Zensur beschlossen wurde. Die Maßnahmen der USPD/MSPD-Regierung in Bayern sind ebenso verdienstvoll, aber die wesentliche Wirkung für die Menschen konnte nur durch die Entscheidung auf Seiten der Reichsregierung entfaltet werden und wurde (z. B. beim Frauenwahrecht) nur durch eine entsprechende Verordnung der Reichsregierung tatsächlich auch in Bayern für die nationalen Abstimmungen in Kraft gesetzt.

    Deshalb meine Aussage in Ausschuss: Wenn bei einer Umbenennung der Straße über „Kaiser Wilhelm“ oder „Kurt Eisner“ geredet wird , muss die Antwort eigentlich „Friedrich Ebert“ heißen. Wie ist es mit Ernstberger, Stresemann, Rathenau? Oder mit Berta von Suttner, um auch eine Frau zu nennen? Warum nur auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg blicken, warum nicht auf spätere Zeiten? Hier habe ich auf Wilhelm Hoegner verwiesen; nicht weil er der einzige Ministerpräsident nach 1945 war, der nicht das CSU-Parteibuch hatte (wie es heute in der Berichterstattung der SZ anklang). Sondern weil er sich vor 1933 tapfer gegen die Nationalsozialisten wehrte, nach dem Ende der NS-Diktatur den Entwurf der wunderbaren bayerischen Verfassung aus dem Exil mitbrachte und damit der Vater unserer Verfassung ist. Er hat an entscheidender Stelle am Wiederaufbau eines teilweise völlig zerstörten Staates erfolgreich mitgewirkt.
    Kommunalpolitik ist ständige Abwägung. Wenn ich die Lebensleistung von Hoegner und Eisner betrachte, ist jene Hoegners um ein Vielfaches bedeutender. Ich meine, da kann es nicht den Hauch eines Zweifels geben.
    Eisner war nur sehr kurz in einem öffentlichem Amt (etwa 2 Monate). Er war am Tag seiner Ermordung auf dem Weg zu seiner Rücktritterklärung im Landtag, weil ihm die Bevölkerung auf eine Weise das Misstrauen ausgesprochen hat, wie wir es danach nie mehr bei einem Ministerpräsidenten erlebt haben. Seine USPD hat gerade einmal 2,5 Prozent der Stimmen erhalten. Deswegen habe ich Eisner als einen politisch Gescheiterten bezeichnet.

    Wir werden – aus heutiger Sicht – eine Kurt-Eisner-Straße in Starnberg bekommen. Aber, wie erläutert, könnte man wohl mit Fug und Recht auch andere Namen in die Debatte einbringen. Ob Eisner von vielen Konservativen als linker Spinner abgetan wird, denke ich, ist dabei nicht relevant. Welchen Weg Eisner gegangen wäre, wenn er nicht von einem Rechtsradikalen ermordet worden wäre, wissen wir nicht. Sein Schwiegersohn, der erste Sozialminister Bayerns, ist von der USPD zur SPD zurück gekehrt, wurde sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter und starb im Exil in den USA. Man mag daher vermuten, dass Eisner den gleichen Weg gegangen wäre. Ein Teil der Weggefährten Eisners radikalisierte sich und gründete mit den Spartakisten die Kommunistische Partei, die in den Jahren der Weimarer Republik vor allem die SPD brutal bekämpfte, bis die Machtübernahme der Nazis vor der Tür stand. Genossen, die dabei waren, erzählten mir, dass sich die Kommunisten und die Sozialdemokraten danach im KZ wieder trafen. Viele Kommunisten schworen dort: Diesen Fehler machen wir nie wieder. Viele von ihnen haben sich leider nicht daran gehalten. Ein Teil der Weggefährten Eisners, die sich auch auf ihn berufen haben, waren Feinde der parlamentarischen Demokratie und kämpften für ein Sowjet-System nach russischem Vorbild. Eisner war in der DDR ein Held, dort wurden Straßen nach ihm benannt. Ebert war der Klassenfeind und nach ihm wurden dort keine Straßen benannt. Eisner hat mit der aktiv betriebenen Spaltung der linken Arbeiterbewegung einen Jahrhundertfehler begangen (den andere später wiederholten). Eisner war ein begeisterter Kriegsbefürworter während viele Sozialdemokraten sich aktiv für den Erhalt des Friedens einsetzten. Eisners späterer Schwenk zum Gegner der Kriegskredite rechtfertigt die Spaltung der Arbeiterbewegung und die damit einhergehenden schlimmen Folgen nicht: Die Grundlage für die spätere Unregierbarkeit der Weimarer Republik wurde schon zu dieser Zeit gelegt. Er hätte auch – so wie andere – weiter in der SPD gegen die Kriegskredite und für eine starke SPD kämpfen können. Er hat für eine Schwächung der SPD gesorgt, was sich später noch bitter rächen sollte.

    Sie sehen, ich bin dagegen, sein Andenken zu überhöhen, sondern richtig einzuordnen.
    Da bin ich immer für eine Debatte zu haben.

    Soweit meine Sicht der Dinge in verkürzter Form.
    Nochmals Dank für Ihre Mail und beste Grüße

    Tim Weidner

    Tim Weidner
    Weiterer Stellvertretender Landrat
    SPD-Fraktionsvorsitzender
    im Kreistag Starnberg
    Stadtrat