Fast hätte man gedacht, mit der Schließung der Villa de Osa und dem Festwochenende am Lohacker seien die großen Veranstaltungen der Berger Festtage zum 1200-Jahr-Jubiläum vorbei … dabei sieht es so aus, als ob uns die wahren Höhepunkte erst bevor stehen: Luise Kinseher kommt am Freitag in den längst ausverkauften Saal vom “Gasthof Die Post,” und Herzog Franz lädt am Tag darauf 50 ausgeloste Berger in sein persönliches “Schloss Berg” ein. Aber all das könnte verblassen gegenüber einer auf den ersten Blick unscheinbaren Veranstaltung am Freitag Mittag in Schloss Kempfenhausen.
Einstimmig vom Gemeinderat beschlossen: Adolf Hitler wird Ehrenbürger von Berg
Der Titel der Veranstaltung (schon um 13:30 Uhr im Rittersaal von Kempfenhausen, Eintritt frei) klingt wenig reißerisch: “Zeitzeugen-Vortrag mit Heinz Rothenfußer – Was geschah in Berg zur Zeit des 3. Reiches?” Aber das ,was Heinz Rothenfußer präsentieren wird und was er in den letzten Jahren in unermüdlicher Arbeit als Archivar der Gemeinde zu Tage gefördert hat, ist spektakulär. Es bringt zur Sprache, was niemand zu wissen vorgab: die traurige Rolle der Gemeinde im 3. Reich.
Bis vor kurzem war nicht einmal bekannt, dass es in Berg Zwangsarbeiter gab. Bis im Februar von Heinz Rothenfußer ein Artikel im Berger Gemeindeblatt erschien (die QUH berichtete darüber hier: https://quh-berg.de/das-betrifft-berg/ ). Jetzt wird Heinz zusammen mit seiner Kollegin Gabi Graswald über seine neuesten Forschungsergebnisse berichten, die endgültig mit der Behauptung aufräumen, dass es in Berg – abgesehen vom Todesmarsch – keine nennenswerten Aktivitäten oder Opfer des Nationalsozialismus gab. Im Gegenteil! Es geht mit Kleinigkeiten los: Das heutige Rathaus der Gemeinde steht auf einem Grundstück, das zuvor einem jüdischen Grundbesitzer (Dr. Schiff) gehörte und dann als HJ-Heim genutzt wurde, bevor in den 60er-Jahren dort das heutige Rathaus entstand.
Aber es gab auch regelrecht lebensvernichtende Aktionen: Die Historiker werden den Fall einer “Schriftstellerin” (Eva Krzyzanowski) rekonstruieren, die auf Bestreben des Berger Nazi-Bürgermeisters Laux (mit Zustimmung des Gemeinderats) in eine psychiatrische NS-Klinik eingewiesen wurde, wo sie mit 50 Jahren verstarb.
Gemeinderatsbeschluss mit Todesfolge
Es kommt noch schlimmer: Die Klinik Kempfenhausen, die neben der Gemeinde Berg Mitveranstalter des Vortrags ist, startete 1944 als eine “Aktion Brandt”-Klinik (Wikipedia: “Die Aktion Brandt fasst dezentrale Tötungen von Kranken in Heil- und Pflegeanstalten während des Nationalsozialismus zusammen.“). Wir zitieren aus dem Vortrag:
Inzwischen ist aus mehreren Quellen bekannt: Im „Spätherbst 1944“, das heißt wohl „im November“, bringt die Aktion Brandt etwa 100 alte und invalide Patienten aus dem Raum Essen/Oberhausen/Moers nach Kempfenhausen in die Klinik „Aktion Brandt“. Leonard Trautwein, der Klinik-Chronist, meint, dass einige der „Essener“, schon den Transport nach Starnberg nicht überlebt hätten. Vom 30. November bis 30. Dezember sterben dann 24 der Essener, bis Ende Mai 1945 sind es dann 38 und Ende August 45 Personen.
Einer von über 100: ein “Invalide” aus Oberhausen in “Kempfenhausen Krankenhaus Aktion Brandt“, verstorben am 11.12.1944
Ältere Berger wissen noch, dass die Toten an der Friedhofsmauer in Aufkirchen beerdigt wurden, wo keine Tafel an sie erinnert.
Bislang gab es hier keinen Hinweis auf womöglich 100 hier begrabene “Patienten” des Kempfenhauser Krankenhauses
Manche erinnern sich sehr wohl an die Vorgänge (auch wenn sie die letzten 77 Jahre nicht darüber geredet haben). Frau K. aus Berg erzählte uns, dass die Verstorbenen an der Friedhofsmauer sogar in zwei Reihen hintereinander bestattet werden mussten. Dem Erinnern hilft nun am Freitag der Vortrag nach, dem man nur das allergrößte Publikum wünscht. (Es gibt nur noch wenige Plätze).
Und nein, was Sie hier gelesen haben, ist nur ein kleiner Teil der Forschungen. In dem Vortrag kommen noch viele weitere, bisher unbekannte Geschichten und Details – u.a. über die Berger Zwangsarbeiter und den Todesmarsch 1945 durch die Gemeinde – zur Sprache.
Ich empfehle zu lesen: O.M.Graf – Unruhe um einen Friedfertigen. Das bringt die damalige Atmosphäre nahe. Langsam wenden sich die Gemeinden den Themen zu. Oft eine schwierige “Geburt”. Gruß aus Feldafing!
Wie schade, dass der Vortrag Freitag Mittag stattgefunden hat. Was war denn die geplante Zielgruppe? Nur die Zeitzeugen selbst? Jedenfalls wurde die arbeitende Bevölkerung nicht berücksichtigt. Oder hätte ich mir Urlaub nehmen sollen um den Vortrag anzuhören?
Bitte Herrn Rothenfußer oder die MS-Klinik direkt fragen.
Lieber Gerhard,
den Rentnertermin habe ich mir keineswegs selbst ausgesucht: Die MS-Klinik hat zu diesem Termin, im Anschluss an eine andere Klinikveranstaltung, den Rittersaal gebucht und bei mir angefragt, ob ich dort einen Vortrag halten würde. Ich habe dann zugesagt und befürchtet, dass außer dem Klinikpersonal keiner kommen wird – aber weit gefehlt, wir konnten nicht mal alle einlassen.
Umso besser, wenn das Interesse so groß ist: wir werden das Ganze im September oder Oktober andernorts zur Abendzeit wiederholen.
Schöne Grüße
Heinz