In der Welt der Literatur heißt er nur “der Michel”, getauft wurde er auf den Namen Michael, aber in seinem Dorf Allmannshausen, wo er die meiste Zeit in einem Holzhaus über dem See lebt, nennt ihn manch einer nur “Mike”. Heute wird Michael Krüger, der engagierte Dichter, weltberühmte Verleger und ehemalige Präsident der Bayrischen Akademie der Wissenschaften 80 Jahre alt.
Michael Krüger in dem Film “Ein Oskar für Bayern” (BR/ Andreas Ammer)
Wahrscheinlich war – außer dem schwedischen König – niemand so oft bei der Nobelpreisverleihung für Literatur wie Michael Krüger. Nicht weil er den Preis selbst gewonnen hätte, sondern weil er der Verleger oder Lektor der Poeten war, die dort für ihr Werk geehrt wurden. Unfaßbare 17 Mal war das der Fall.
Michel Krüger, der heute seinen 80. Geburtstag in seinem Holzhaus in Allmannshausen feiert, war wahrscheinlich einer der einflussreichsten Männer der Weltliteratur. Obendrein ist er zeitlebens in aller Brotlosigkeit Poet geblieben, der (oft in Allmannshausen) seinen Arbeitstag beim Hanser Verlag damit begann, ein Gedicht zu verfassen (oder eines zu übersetzen). Heute wollen wir ihn nicht als den Weltmann ehren, der er ist, sondern als den dörflichen Mitbewohner.
Michael Krüger in seinem Garten in Allmannshausen (Photo: Ariane Wedel)
Als Michael Krüger vor mehreren Jahren aus seinem Refugium in Ambach vertrieben wurde, zog er mit seiner Lebenspartnerin in ein Holzhaus bei Allmannshausen. Unsere Gemeinde ist für ihn seitdem so etwas wie ein Rückzugsort aus der großen, literarischen Welt gewesen. Bald schon traf man ihn – als es diesen Treffpunkt noch gab – am Montag Abend mit den anderen “Regulars” am Stammtisch im Graf-Stüberl, und er redete dort über alles, nur nicht über Literatur. Dafür traf er sich an anderen Tagen am Nebentisch schon einmal mit dem Philosophen Jürgen Habermas zur gepflegten Halben und ergründete die Gesetze der Welt. Tags darauf fuhr er dann wieder in sein Chefbüro in Bogenhausen und verhandelte mit all den Nobelpreisträgern oder unbekannten Dichtern, die er veröffentlichte und die seine Freunde waren.
Als die Corona-Pandemie über der Welt wütete, war Michel wegen einer schweren Leukämie-Erkrankung noch gefährdeter als andere Menschen und konnte sein Allmannshauser Haus monatelang nicht verlassen. Seine Lebensangst goss er in Gedichte, die allwöchentlich im SZ-Magazin über seine Isolation erschienen. Für uns Berger waren das ganz besondere Gedichte, weil ausgehend von seinem Allmanshauser Schreibtisch der ganzen Republik poetisch die Welt erklärt wurde (Eines der Gedichte finden Sie im QUH-Blog hier: https://quh-berg.de/22630-2/ ). Als es ihm wieder besser ging, verbrachte er seine Samstagvormittage lesend vor dem Farchacher Hofladen. Eine Begegnung mit ihm dort finden Sie im QUH-Blog hier: https://quh-berg.de/aber-ich-lebe-noch/.. In der SZ schreib er damals:
“Aber ich lebe noch. Wir haben uns in ein kleines Holzhaus im Umland zurückgezogen und betrachten aus der Distanz, wie sich die Welt verändert. Gemüse und Käse kaufen wir in einem Hofladen, in dessen Stall drei Schweine und zwölf Ziegen leben, mit denen mich inzwischen eine tiefe Freundschaft verbindet …”
Michael Krüger isoliert in seinem Haus in Allmannshausen
Michel, der weitgereiste, hat Allmannshausen zu einem Dorf auf der literarischen Weltkarte gemacht. In seinem großen Lyrikband “Mein Europa” tragen allein 14 Gedichte den Titel “Allmannshausen”. Eines ist schöner als das andere. In seinem Gedichtband “Umstellung der Zeit”, der vor 10 Jahren zu seinem 70.Geburtstag erschien, gab er dem allerersten Gedicht den programmatischen Titel “Mein Schreibtisch in Allmannshausen”. Sie finden es hier: https://quh-berg.de/der-schreibtisch-in-allmannshausen-michel-krueger-wird-70-572462204/.
So sieht er wirklich aus: der Schreibtisch von Michel Krüger in Allmannshausen
“Natürlich liest sich das alles anders, wenn man es kennt“, gestand uns Michel als wir ihn auf den Allmannshauser Holzhaufen ansprachen, über den er ein Gedicht verfaßt hatte. Das Gedicht ging so:
Blick aus meinem Fenster
Auf der Ostseite, kurz vor dem Weg zum Bismarckturm,
haben sie die Bäume gefällt, vier mächtige Buchen,
alle älter und weiser und schöner als die neuen Mitbürger,
die sich eine Achse und freie Aussicht gewünscht haben.
Wenn sie schon die horrenden Preise zahlen mussten,
dann wollen sie auch sehen, wie die pummelige Tochter
auf ihrem Pony zum Turm reitet, wo die Buben warten,
die keine Lust haben, die Höfe der Eltern zu übernehmen.
Die Sägespäne hat man als helle Kränze liegen gelassen,
und die Stümpfe, die aus der aufgekratzten Erde ragen,
sehen aus wie die Kronen von drei versunkenen Königen.
Die Erde am Hang ist trocken und nicht sehr dunkel.
Auf dem Weg zum Turm sah man gelegentlich einen Fuchs
in der Dämmerung, der wie ein Dieb ums Dorf schlich,
aber seit die letzten fünf Hühner hinter Stacheldraht
verschwanden, ist er zurück in den Wald gezogen,
wo er hin und wieder einen alten Vogel erwischt.
Der Adler auf dem Bismarckturm schaut ungerührt zu,
wie sich das Dorf verändert. Er weiß natürlich genau,
für was sich die Buben interessieren, wir wissen es nicht.
Wir wissen nur, dass sie den Laden verkaufen, wenn
die Eltern unter der Erde sind. Einen Friedhof gibt es
nicht im Dorf, aber man kann die Asche verstreuen.
“… vier mächtige Buchen,
alle älter und weiser und schöner als die neuen Mitbürger …” zur Literatur gewordene Bäume aus Allmannshausen
Mehr von Michel Krüger in unserem heutigen Adventskalenderwässerchen. https://quh-berg.de/das-9-waesserchen/ Es ist schön, einen wie ihn in der Nähe zu wissen. Wir gratulieren herzlich.