Am Ortsausgang von Berg, an der Seeshaupter Straße 14, wo im letzten Jahr der Berger Maibaum bewacht werden sollte, wird eine neue Wohnanlage entstehen. Seit Ende des letzten Jahres findet sich dort, wo einstmals ein stattliches Haus stand, nur noch ein Haufen Steine. Was wenige wissen: In diesem Haufen Steine wohnte einstmals einer der berühmtesten Komponisten der Welt.
Ein Riesenhaufen Musikgeschichte
Arnold Schönberg ist der Schöpfer der berüchtigten Zwölftonmusik, die für die akustische Kunst so wichtig ist wie die Erfindung der abstrakten Malerei durch Wassily Kandinsky (der in Murnau wohnte). Den Sommer 1911 verbrachte Arnold Schönberg hier in dem Haus des damaligen Zimmermeisters Widl in der Seeshaupter Straße 14:
In diesem Haus trafen sich die beiden Erneuerer der modernen Kunst Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky zum ersten Mal (Foto: Christian Lehmann)
Noch ein Viertel Jahrhundert später erinnert sich Kandinsky in einem Brief an den in die USA emigrierten Komponisten an dieses historische Treffen der Avantgardisten in Lederhosen: „Erinnern Sie sich noch, lieber Herr Schönberg, wie wir uns kennen lernten – am Starnberger See – ich kam mit dem Dampfer und kurzer Lederhose an und sah eine schwarz-weiße Grafik – Sie waren ganz weiß angezogen und nur das Gesicht war tief schwarz.“
Der Musikhistoriker Christian Lehmann berichtet uns über die Geschichte dieser Freundschaft folgendes:
“Am 1. Januar 1911 besucht der Maler Wassily Kandinsky zusammen mit Gabriele Münter, Franz Marc und anderen Mitgliedern des künftigen „Blauen Reiters“ ein Konzert in München, in dem Arnold Schönbergs zweites Streichquartett op. 10 und seine Klavierstücke op. 11 erklingen. Der Wiener Komponist sucht nach radikalen neuen Wegen des musikalischen Ausdrucks. Schönbergs Kompositionen nehmen keine Rücksicht auf traditionelle harmonische Verläufe.
Kandinsky malt unter dem Eindruck der neuartigen Musik ein Bild mit dem Titel Impression 3 (Konzert) und sendet Schönberg, den er bisher nicht persönlich kennt, am 18. Januar eine Bildermappe, begleitet von einem Brief:
„Unsere Bestrebungen aber und die ganze Denk- und Gefühlsweise haben so viel Gemeinsames, dass ich mich ganz berechtigt fühle, Ihnen meine Sympathie auszusprechen.
Sie haben in Ihren Werken das verwirklicht, wonach ich in freilich unbestimmter Form in der Musik so eine große Sehnsucht hatte. Das selbständige Gehen durch eigene Schicksale, das eigene Leben der einzelnen Stimmen in Ihren Compositionen ist gerade das, was auch ich in malerischer Form zu finden versuche.“
Zwischen den beiden Künstlern entsteht ein angeregter Briefwechsel. Schönberg, der auch selbst malt, ist von Kandinsys Bildern begeistert. Er stimmt dessen Idee zu, den Weg zu einer neuen Harmonie über die „Dissonanzen in der Kunst, also in der Malerei ebenso, wie in der Musik“ zu suchen. Mit Schönberg und Kandinsky verlässt die Musik die Tonalität, so wie die bildende Kunst die Gegenständlichkeit verlässt. Schönberg hat soeben seine Harmonielehre veröffentlicht, Kandinsky arbeitet an seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst.
Als sich Arnold Schönberg im August 1911 als Sommergast im Haus der Sägerei Widl in Berg am Starnberger See einmietet, ist die Gelegenheit für ein Treffen gekommen. Kandinsky lädt Schönberg zu sich nach Murnau ein. Da Schönberg sehr beschäftigt ist, bittet er Kandinsky, ihn statt dessen in Berg zu besuchen. Am Sonntag, den 29.8. kündigt Kandinsky für den kommenden Dienstag seine Ankunft via Tutzing „mit dem Schiff um 11.40 in Schloß Berg“ an. Gesichert ist ein Gegenbesuch Schönbergs am 14. Sepember bei Kandinsky und dessen Künstlerfreunden in Murnau.”
Schönberg selbst beschäftigte sich in seiner Zeit in Berg mit der Inszenierung seines Monodramas “Erwartung” … in Berg verfertigte er diese Skizze des Bühnenbildes samt einer spielerischen Variation über das Wörtchen Berg: “Schönberg, Oberberg, Post Berg am Starnberger See”
Notizzettel von Arnold Schönberg aus Berg (© Arnold Schönberg Center Wien)
Christian Lehmann ist auch Autor des wunderbaren Buches “Blauer Himmel, Blaue Wogen. Musikgeschichte am Starnberger See” (Apelles-Verlag, Percha), dass Sie zum Beispiel bei Dini Kortmann-Huizings “Schöner Lesen” beziehen können. Wir kommen auf dieses Buch zurück.