Das heutige (und leider letzte) Bäumchen unseres QUH-Adventskalenders dürfte der weltweit bekannteste Berger Baum sein … und doch stellt er ein wenig ein Rätsel dar: Zwar repräsentiert kein Bild die Gemeinde Berg so wie das Portrait von Oskar Maria Graf, der mit breiten Beinen, alter Lederhose und seinem Exil-Janker, ein rätselhaftes Manuskript in der Hand, auf einer Bank sitzt, die um eine Linde herum gebaut ist. Der Baum neigt sich ein wenig zur Seite und steht innerhalb eines Gartens. Aber um welche Linde handelt es sich?
Weltschriftsteller vor Dorflinde: Oskar Maria Graf 1960 in Berg
Gemeinhin gilt die Linde vor der alten Schule in Aufkirchen als “Graf-Linde”. Allerdings stimmen die Details nicht: Im Hintergrund steht kein Haus, es ist kein Zaun weit und breit zu sehen, und vor allem neigt sich der Baum offensichtlich in eine andere Richtung.
Sieht ganz anders aus? Die Dorflinde von Aufkirchen … kann sie der “Graf-Baum” sein?
Sicher ist: Es handelt sich bei dem Baum auf dem alten Photo nicht um die mächtige Linde vor dem Geburtshaus von Oskar Maria Graf drunten in Berg, die schon seit über 100 Jahren stolz die Straße versperrt. Denn diese Linde (um die früher ebenfalls eine Bank gebaut war) steht seit über 100 Jahren vor dem Garten in Oberberg, während das Photo von Oskar – wie man an den Betonpfeilern des Zaunes sieht – offensichtlich innerhalb eines Gartens aufgenommen wurde.
Falscher Zaun: Die Linde vor dem Oskar Mara Graf Stüberl heute …
… und auf einer Aufnahme vor dem 1. Weltkrieg … vgl. zu den interessanten Details auf diesem Photo unseren Artikel aus dem Jahr 2012: https://quh-berg.de/dorfpartie-in-oberberg-219029848/
Außerdem trägt das berühmte Photo aus dem Nachlass von Oskar Maria Graf, das während dessen zweiten Besuchs 1960 in Deutschland aufgenommen wurde und dessen Photograph unbekannt ist, gemeinhin die Bezeichnung: “Oskar Maria Graf vor der Schule in Aufkirchen“. Es sollte sich also um die Linde vor der alten Schule und heutigen Gemeindebibliothek handeln, die allerdings erstens heute ebenfalls vor dem Garten steht. zweitens anders geneigt ist als die Linde auf dem Photo. Drittens ist im Hintergrund der alten Photographie beileibe kein Schulgebäude zu erkennen.
Falsche Neigung, fehlender Zaun, zu viel Gebäude: Die neue Bank um die Linde stammt aus dem Jahr 2008
Wir begeben uns auf Exkursion: Hinten im Garten des Schulhauses stehen mehrere alte Bäume, bei denen es sich allerdings zumeist um Ahornbäume handelt, keine Linde weit und breit … allerdings ist auf den Bildern aus dem Schulgarten zu erkennen, dass der Zaun der alten Schule heute noch derselbe ist wie auf dem Graf-Photo: Die Linde muss also hier im Garten gestanden haben. Wurde sie gefällt? – Nein! Des Rätsels Lösung ist einfach … wie bei vielen Problemen muss man beim Denken einfach quer die Richtung wechseln, um zur Lösung zu gelangen.
Richtige Neigung, richtiger Zaun, falscher Baum: ein alter Ahorn im Schulgarten
Wir kehren zurück zur Straße, und plötzlich steht der Baum exakt so, wie er vor fast 50 Jahren photographiert wurde, vor uns an der Straße. Es ist tatsächlich die Linde vor der Schule, aber sie wurde von der anderen Seite aufgenommen: Der Zaun um das Schulhaus muss also im Jahr 1960 noch um den Baum (und den Standort des heutigen Rest-Maibaumes) herumgegangen sein und hat damals die Sicht auf die Straße versperrt.
Offenbar wurde das Graf-Photo dann mit dem Rücken zum Schulhaus in Richtung Straße aufgenommen: Nur aus dieser Perspektive stimmen Baum und Baumneigung überein. Der Zaun, der offensichtlich der Schulzaun ist, muss versetzt worden sein. Der Baum stand früher nicht auf öffentlichem Grund. Die Bank – früher 4-eckig – wurde von den Aufkirchner Burschen 2008 erneuert.
Die Lösung: Richtiger Baum, richtige Neigung. neue Bank, der Zaun wurde versetzt
Die QUH wünscht allen ihren Lesern und dem Rest der Welt fröhliche und glückliche Tage unterm heimatlichen Baum!