Wilde Spekulationen und Gerüchte begleiteten im September des letzten Jahres die Zwangsversteigerung des Aufkirchner Anwesens, in dem derzeit der Edeka-Markt Heinz sowie Wohnungen untergebracht sind. Der “Schall”, wie viele heute noch sagen, einst der Lebensmittelmarkt mit der höchsten Nerzfrequenz in der Region, eröffnete in der jetzigen Form 1981, den Laden gab es schon vor 60 Jahren. Mittlerweile wird der Markt von der Edeka-Gruppe gepachtet, die den Vertrag im Oktober 2012 für weitere fünf Jahre verlängert hat.
Wegen Forderungen der Gläubigerbank, die die Familie Schall nicht erfüllen konnte, musste das Anwesen zwangsversteigert werden. Nach einem heißen Kampf gab schließlich Evi Brandl, Inhaberin der Metzgerei Vinzenzmurr und Hauptaktionärin des Lederwarenherstellers Etienne Aigner, das Höchstgebot (1,85 Mio €) ab. Sie ließ damals in der Presse verlauten, sie wolle, dass alles so bleibe, wie es ist. Rechtskräftig ist der Zuschlag allerdings noch nicht – Familie Schall hatte Beschwerde eingelegt.
Nun sieht Alfons Schall wieder Licht am Horizont. Wegen der derzeitigen Zinskonditionen wäre er nun selbst in der Lage, die Forderungen der Bank zu erfüllen. “Es würde sich rechnen”, sagt er, “auch wenn meine Töchter von ganz unten anfangen müssten.” Sein “Wunschtraum” wäre es, dass Frau Brandl ihnen als Gründerfamilie den Vortritt ließe.
Aus diesem Grund hat er am letzten Wochenende versuchsweise eine Unterschriftenaktion gestartet. Er stellte sich selbst an einen Tisch im Lebensmittelmarkt und legte die Listen aus. Innerhalb von 24 Stunden hatte er schon ca. 260 Unterschriften beisammen – allerdings erwähnte er weder Frau Brandl noch Vinzenzmurr, sondern formulierte unkonkret: “Mit Ihrer Unterschrift befürworten Sie den Erhalt des Standortes im Besitz der Gründerfamilie und wollen nicht, dass dieses Haus an ein meistbietendes Immobilien-Imperium geht.”
Das Landgericht München II hat noch nicht entschieden.
Herr Schall hat der QUH einen offenen Brief in dieser Sache übermittelt, den wir nachstehend als Kommentar veröffentlichen. Es geht um die Geschichte des Lebensmittelmarkts, die Historie der Darlehen und um die Zwangsversteigerung. Für die Richtigkeit des Inhalts zeichnet allein Herr Schall verantwortlich, das QUH-Blog stellt sich lediglich als Forum zur Meinungsäußerung zur Verfügung.
Offener Brief von Alfons Schall Wie es kam, dass es so weit kam …
Es geht hier um den Nahversorgermarkt und den Familienwohnsitz der Familie Schall in der Marienstraße 4-6 in 82335 Berg-Aufkirchen.
Er steht auf dem Grund des während des 2. Weltkrieges, genauer gesagt am 20. Sep. 1943, durch einen Bombenabwurf eines englischen Kampfbombers völlig zerstörten Kramerladens der Familie Diesel, die dabei ebenfalls ausgelöscht wurde. Auch das gegenüber liegende Mesnerhaus wurde komplett zerstört.
Die Familie Diesel konnte seinerzeit nicht mehr aufgefunden werden, und so kam es, dass die Ruine bis zum Jahre 1953 dem Verfall ausgesetzt war.
Meine Mutter, Frau Käthe Schall, fasste, nachdem sie erst 1949 erfuhr, dass mein Vater Martin Schall bereits am 18. März 1945 in Ostpreußen gefallen war, den Entschluss, in ihre Heimat zurückkehren zu wollen, um hier eine neue Existenz aufzubauen, als Kriegswitwe mit zwei Kindern eine enorme Herausforderung.
Trotzdem, wir packten gemeinsam an und hatten als Unterstützer auch unsere Großeltern sowie Freunde und Bekannte. Mit enormer Einsatzbereitschaft entstand hier ein Lebensmittelgeschäft mit Vollsortiment und der Konzession für den Verkauf von losen Milchprodukten. Der Laden umfasste 80qm + 40 qm für den Verkauf von Milchprodukten und Käse sowie Backwaren, er war 7 Tage die Woche geöffnet.
Der Laden wurde seinerzeit von meiner Mutter, der Schwester und einer Mitarbeiterin geführt, nachdem ich damals noch in der kaufmännischen Ausbildung war. Durch ein furchtbares Ereignis 1960, und zwar den Tod meiner Schwester im Alter von 22 Jahren nach der Geburt ihres ersten Kindes, brach für die Familie eine Welt zusammen.
Ich war in der Ausbildung zum Industriekaufmann und wurde unmittelbar nach meinen erfolgreich abgeschlossenen Prüfungen hier in das Geschäft berufen. Kurz darauf hatten wir den Laden auf 180 qm erweitert. Nach meiner Eheschließung im Jahr 1970 begannen wir bereits mit der Planung eines Einkaufsmarktes am Ostrand von Aufkirchen, mit diversen Anbietern im Frische- und Dienstleistungsbereich unter einem Dach. Leider war die Gemeinde Berg seinerzeit in keiner Weise bereit, unserem Vorhaben näher zu treten. Somit sahen wir uns gezwungen, am jetzigen Standort eine Lösung zu finden, die eine Nahversorgung auf längere Sicht sicherstellt.
Es war nicht nur eine gewaltige Herausforderung, was die Planung, die behördlichen und nachbarschaftlichen Hürden betrifft, sondern auch ein finanzieller Kraftakt, weil das komplette Stammhaus, die Eingänge, Treppenhäuser und Garagen neu errichtet werden mussten. Hinzu kam die Auflage der Gemeinde zum Bau einer Tiefgarage, dem Anschluss an den damals neu erbauten Schmutzwasserkanal und die Errichtung eines Tagwasserkanals wegen der weitläufigen Dachflächen.
Im Oktober 1981 konnte die Eröffnung eines knapp 500 qm großen Nahversorgermarktes gefeiert werden. Wir hatten seinerzeit eine gewaltige Summe für die Neubauten, die umfangreichen Umbaumaßnahmen innerhalb des Anwesens und für den Erwerb von Abstandsflächen entlang der Pfarrgasse investiert.
Im Jahre 2007 wurden unsere Darlehen von der Hypo-Vereinsbank ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung an die Delmora GmbH verkauft, kurz darauf wurde diese von der Archon Capital Group Deutschland GmbH übernommen, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Goldman Sachs Group, New York, USA. Es handelt sich hier um einen sog. Finanzinvestor, der keinerlei Interesse daran hat, Darlehen zu verlängern, sondern rein auf Verwertung spezialisiert ist.
Es wurden von der HVB damals sog. „faule“ Kredite im Volumen von 6,9 Mrd. € an diverse Finanzinvestoren verkauft, um Bargeld für die Übernahme durch die Uni Credit zu beschaffen. Leider war es so, wie der Abteilungsleiter der HVB es zu rechtfertigen versuchte, dass auch unsere Darlehen verkauft wurden, gerade weil wir immer unsere Raten korrekt beglichen haben. Den Paketen, die seinerzeit als Ausgliederung eines Portfolios deklariert wurden, mussten laut Aussage von Herrn N. auch 30 % jener Kunden beigepackt werden, die stets ihren Zahlungsverpflichtungen korrekt nachkamen, darunter waren wir. Das ist unglaublich, aber wahr.
Nachdem die Zinsbindung eines der Darlehen ausgelaufen war, erhöhte die Archon Capital Bank Deutschland GmbH den Zinssatz um über 54 %. Sie lehnte es ab, die Darlehen zu hypothekenbankähnlichen Zinssätzen zu verlängern. Ich war mit der Erhöhung nicht einverstanden, versuchte zu verhandeln und abzulösen, es wurde mir geraten, die Zahlungen einzustellen. Das war ein Fehler, und die Reaktion kam prompt. Es folgte die Kündigung und Fälligstellung der Darlehen mit auf drei Jahre rückwirkender Berechnung von 18 % Zinsen, auf die eingetragenen Grundschulden wohlgemerkt, nicht auf die valutierte Darlehenshöhe. Es fanden mehrfach Gespräche statt, die Darlehen zu dem valutierten Betrag abzulösen, leider war die Archon Capital Bank dazu nicht bereit und setzte voll auf die Verwertung mit den entsprechenden Zwangsmaßnahmen, wogegen ich mich knapp vier Jahre verteidigen konnte. Die Versteigerung konnte ich leider nicht abwenden, bisher lediglich das Eintreten der Rechtskraft zum Zuschlag.
Einige Leute bei dem Versteigerungstermin waren erstaunt über die Höhe der Grundschulden, auch über die diversen Umschuldungen im Zeitraum von 30 Jahren und die zahlreichen Einträge im Grundbuch.
Auch ich hätte immer lieber Hypotheken statt Grundschulen im Grundbuch eingetragen gehabt. Leider ist es so, dass sich die Banken ausnahmslos von Hypotheken verabschiedet haben, denn diese sind zweckgebunden an das Immobiliendarlehen und können – im Gegensatz zu Grundschulden – nicht verkauft werden, während bei Grundschulden immer die Möglichkeit besteht, diese zu verkaufen, ohne den Darlehensnehmer fragen zu müssen und auch ohne dessen Einverständnis.
Bei der Bestellung von Grundschulden beim Notar unterwirft man sich automatisch der Zwangsvollstreckung mit Berechnung eines Zinssatzes von 18 %.
Alle meine Finanzierungen hatte ich teilweise mit TA (Tilgungsaussetzung) vereinbart. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich nichts getilgt hätte. Ich tilgte teils nur 1 %, und der weitaus überwiegende Darlehensbetrag wurde über Lebensversicherungen getilgt. Das funktioniert so: Es wird über die fällige Endsumme ein LV-Vertrag abgeschlossen, der bei Endfälligkeit, d.h. bei Ende der Laufzeit oder beim vorzeitigen Tod des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme zuzüglich Überschussanteile ausgezahlt und damit die Darlehen getilgt werden. Das hatte damals einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu heute, denn die Versicherungsbeiträge sind Betriebsausgaben, und die Auszahlungssumme war nach der alten Gesetzgebung steuerfrei. Zudem wäre beim vorzeitigen Ableben des Versicherungsnehmers die Familie abgesichert.
Die Nachteile daraus sind, dass die Darlehenshöhe, wie größtenteils in meinem Fall, immer auf höchstem Niveau war und dafür auch Zinsen zu entrichten waren, allerdings waren diese abzugsfähig. Ein weiterer Nachteil, wie sich später herausstellte, war die Möglichkeit für die Archon Capital Bank, die zur Tilgungsaussetzung abgetretenen Lebensversicherung sofort, auch ohne meine Zustimmung, zu kündigen, um deren Rückkaufswerte zu kassieren; dabei entstehen wissentlich erhebliche finanzielle Nachteile. Zu keinem Zeitpunkt jedoch war die Archon Capital Bank bereit, weder die aktuelle Forderungshöhe noch deren aufgelaufene Kosten und Gebühren nachweislich offenzulegen. Erschwerend kam hinzu, dass die Archon Capital Bank über vier Jahre sämtliche Mieteinnahmen, vereinnahmte, ohne diese bislang nachvollziehbar abgerechnet zu haben.
Was die Umschuldungen betrifft, so ist dazu Folgendes anzumerken: In den Jahren 1980/81 hatten wir teilweise Zinssätze bis zu 12,5 %. Ich war danach froh darüber, einen Vertrag über 8,5 % bekommen zu haben. Dieser Zinssatz allerdings war nach einigen Jahren nicht mehr marktüblich, so dass ich beim Abschluss eines Neuvertrags mit 6 % Vorfälligkeitsentschädigung zahlen musste. Nach geraumer Zeit war auch dieser Zinssatz nicht mehr marktgerecht, und ich schuldete erneut um, zu 4,7%.
Das Höchstgebot beim Versteigerungstermin wurde von der Inhaberin eines Immobilien-Imperiums und Chefin der Firma Vinzenzmurr Frau Evi Brandl abgegeben. Später gab sie an, für ihren Sohn, die Alexander Brandl Immobilien-Verwaltungs GmbH & Co KG, geboten zu haben.
Sie wurde in der Presse als Retterin des Marktes und der Arbeitsplätze hoch gepriesen. Über den Ruin der Familie Schall, der Vernichtung der Arbeit zweier Generationen und dem Totalverlust der finanziellen Grundlagen wurde kein Wort verloren. Frau Brandl hat sich quasi geopfert, um den Standort zu erhalten, und auch um ihre Filiale hier im Hause, die seit 15 Jahren besteht, zu sichern, in erster Linie jedoch ging es um den Erhalt der Arbeitsplätze, versteht sich. Es sollte der Eindruck vermittelt werden, als stünde nicht der Erwerb der Immobilie im Vordergrund bei der Abgabe des Höchstgebots, das weit über dem der uns gegenüber loyalen Bietern lag, sondern eher die soziale Komponente.
Es geht hier um den Aufbau des Standortes und die Arbeit von zwei Generationen. Meine Familie versuchte über die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Frau Brandl zu einem persönlichen Gespräch zu bewegen. Unser Ersuchen besteht darin, das Höchstgebot an uns abzutreten, damit der seit 60 Jahren bestehende Standort zur Nahversorgung im Familienbesitz, der auch unser einziger Wohnsitz ist, erhalten bleibt. Es wäre kaum vermittelbar, dass die Inhaberin einer der größten Immobilienverwaltungsgesellschaften Bayerns ausgerechnet auf unser Haus angewiesen sein soll und damit billigend in Kauf nimmt, dass unsere Familie buchstäblich auf der Straße steht. Der Bieterbetrag geht nämlich in vollem Umfang an die Archon Group Deutschland GmbH, denn die Hochrechnungen der Zinsen und Gebühren sind so exorbitant hoch, dass davon für meine Familie kein Cent übrig bleibt, das Gegenteil ist der Fall.
Wir setzten uns seit vielen Jahren für die Nahversorgung unserer Bürger in Aufkirchen und den angrenzenden Orten ein und haben durch unsere Arbeit und Dienstleistungen erst möglich gemacht, dass Arbeitsplätze entstanden, die auch Frau Brandl zu erhalten verspricht. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben und appellieren an die Einsicht von Frau Brandl, dass es ihr Immobilienportfolio in keiner Weise beeinflussen würde, ob sie unser Haus auch noch besitzt oder das Höchstgebot an uns abgibt. Eins ist sicher, wir werden den Standort auf jeden Fall erhalten und auch die Arbeitsplätze.
Familie Schall, Marienstraße 4, 82335 Berg-Aufkirchen