“Wer für die Revolution ist, uns nach!”

“Wie ist’s denn mit Eurer Revolution?”, fragt am Nachmittag des 7. Novembers 1918 (also genau heute vor 95 Jahren) die damalige Ehefrau von Oskar Maria Graf ihren Mann. Dieser zieht los auf die Theresienwiese: “Sozialdemokraten und Unabhängige forderten die Massen auf, heute nachmittag um drei Uhr auf der Theresienwiese zu erscheinen.”


Die Revolution fand auf der “Wies’n” statt: Die Theresienwiese heute vor 95 Jahren (Photo BSB)

Das Wort hat “unser” Dichter, der damals in vorderster Front mitmarschierte: “Je näher wir der Wiese kamen, desto mehr Menschen wurden es. Alle hatten es eilig. Vor der Bavaria waren dichte Massen und wuchsen von Minute zu Minute. Auf den Hängen und vor den Treppen des Denkmals herab redeten Männer. (…) Die Menge schob sich unruhig ineinander, Gedränge entstand. Wir fanden endlich Eisner, der weither von einem Seitenhang herunterschrie … Wenn er einen Augenblick Atem holte, klangen die Stimmen der anderen Redner auf. Immer mehr und mehr Leute kamen. Unabsehbar war die Schar der Zusammengeströmten, wie ein Ameisenhaufen, schwarz und bewegt.” (Oskar Maria Graf, Wir sind Gefangene, Paul List Verlag, S. 252f)

An die 60.000 Menschen sollen sich auf der “Wies’n” versammelt haben. Laut Grafs Bericht ruft nach Eisners Rede jemand “‘Genossen! Unser Führer Kurt Eisner hat gesprochen. Es hat keinen Zweck mehr, viele Worte zu verlieren! Wer für die Revolution ist, uns nach! Mir nach! Marsch!’ Und mit einem Male gerieten die johlenden Massen ins Vorwärtsdrängen. wie eine kribblige, schwarze Welle wälzten sich die tausend und abertausend Menschen hangaufwärts auf die Straße; weiter ging es im Schnellschritt, an geschlossenen Häusern und herabgezogenen Rolladen vorbei, den Kasernen zu. Wir marschierten, eingekeilt von einer dahinstürmenden Menge, fast ganz an der Spitze, kaum fünf Schriittweit entfernt von Eisner, den ich unablässig betrachtete.”

Kurt Eisner (1867-1919), Journalist und Revolutionär, erster Ministerpräsident des von ihm ausgerufenen “Freistaates” Bayern. Graf berichtete über sein Verhalten während der Revolution: “Er war blaß und schaute todernst drein; nichts redete er. Fast sah es aus, als hätte ihn das jähe Ereignis selbst überfallen. Ab und zu starrte er vor sich hin, halb ängstlich und halb verstört.” (Photo: Robert Sennecke)

Weiter mit Oskar, dem Revolutionär aus der Münchner Boheme, der sich vor allem über das stumpfe Desinteresse der Bayern wundert: “Die meisten Kasernen ergaben sich kampflos. Es kam auch schon ein wenig System in dieses Erobern: Eine Abordnung stürmte hinein, die Masse wartete. In wenigen Minuten hing bei irgendeinem Fenster eine rote Fahne heraus, und ein mächtiger Jubel erscholl, wenn die Abordnung zurückkam. (…) Die Revolution hatte gesiegt. Alles war in ihren Händen, Post und Telegraph, Bahnhof und Residenz, Landtag und Ministerium. – Ich hatte Hunger. ‘Gehn wir in die Wirtsstube und essen und trinken was’, sagte ich zu Schorsch. Wir drängten uns durch und traten in das rauchige Lokal. Dort saßen breit und uninteressiert Gäste mit echt Münchnerischen Gesichtern. (…) ‘Mensch! Sowas!’, konnte ich nur herausbringen, so verblüfft war ich. Wir bestellten Bier und Wurst und schlangen alles hastig hinunter.” (ebd. S. 355 & 358)

Gegen 22 Uhr proklamiert Kurt Eisner im Landtag die Bayerische Republik. Die Wittelsbacher, eines der ältesten Königshäuser der Welt, am Ende nur noch ein marode Dymastie, waren endlich abgesetzt. Von König Ludwig III. (siehe unten: /?p=1312/ ), der am Nachmittag des 7.11.1918 noch flanierend im Englischen Garten gesehen worden war, notiert Graf das Gerücht, dass er in Leutstetten gefangen genommen sei. Tatsächlich war er “mit Automobil und Familie” noch in der Nacht nach Österreich geflüchtet.

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Die Ereignisse tragen maßgeblich dazu bei den ersten Weltkrieg bald zu beenden. Grafs Schriststeller-Kollege Josef Hofmiller notiert zu der ganz und gar unblutigen bayerischen Revolution von 1918: “München war als Hauptstadt des Königreichs Bayern zu Bett gegangen, um als Hauptstadt des bayerischen Volksstaates zu erwachen.” Am nächsten Morgen hängt alles voller roter Fahnen und Plakate. Ein letztes Mal Graf: “Die Tage verflogen wie zersprengte Minuten.”