Eine Reise nach … Paris!

Der QUH-Blog wird auch in Paris gelesen! Beginnen wir mit einer kleinen Vorgeschichte:  Der Jurist und Afrikanist Hans-Josef Beth hatte im vergangenen September in der Reihe “Forum zu Gegenwartsfragen” im Katharina-von-Bora-Haus einen Vortrag zum Thema “Quo vadis, Afrika” gehalten. Der Pariser Patrick Rubise, dessen Familie Hans-Josef Beth im Jahr 1966 zum Schüleraustausch in Bordeaux besucht hatte,  war auf den Artikel im QUH-Blog aufmerksam geworden und bat uns, den Kontakt herzustellen. Daraus entspann sich ein Austausch über den Coronaalltag “junger Rentner” in Deutschland und Frankreich. Und da man derzeit nicht reisen darf, baten wir Patrick Rubise, uns auf eine virtuelle Reise nach Paris mitzunehmen.

Patrick Rubise (74) lebt mit seiner Frau Denise Zorzini-Rubise in Paris und ist vielfach engagiert. Er ist Ingenieur und Doktor der Betriebswirtschaft. Zudem ist er als Journalist und Schriftsteller tätig, betreibt Karate und fotografiert.

 

Patrick Rubise bei seinem täglichen Spaziergang durch Paris (Foto: Denise Zorzini)

Paris – Ausgangsbeschränkung – Ruhestand

Wie organisiert man in der Hauptstadt während der Ausgangsbeschränkung seinen Tag?

Erinnern wir uns zunächst: Nach zwei Ausgangssperren, bei denen nur auf eine Stunde begrenzte Ausflüge zum Einkaufen von Lebensmitteln, zum Sport im Freien und zu Arztterminen erlaubt waren, hat sich die Situation für die Pariser verbessert, die von nun an Zugang zu Geschäften (außer in die großen Einkaufszentren) haben, aber niemand weiß, wie lange noch.
Die Sperrstunde gibt jedenfalls vor: Ende der “Feierlichkeiten” um 18 Uhr.

Was kann man gegen diesen “Freiheitsentzug” tun?

Organisieren. Organisieren.
Seinen Tag organisieren, um gegen Lethargie und Entsozialisierung anzukämpfen, und gleichzeitig von Tag zu Tag leben, denn die Ausgangssperre lauert immer.
Und was tun wir persönlich?
Nach dem Frühstück bearbeiten wir E-Mails, bevor wir uns an den täglichen Pressespiegel mit der Auswahl wichtiger Artikel und dem Versenden bestimmter Informationen an Mailpartner machen. Im Radio kommen viele Interviews, die Aufmerksamkeit verdienen. Eine halbe Stunde Gymnastik zur Erhaltung der körperlichen Fitness: “Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper” gilt schon seit den Römern, die dieses Motto ausgerufen haben! Vor dem Essen und dem Ausgehen sind noch Artikel vorzubereiten.

Spaziergang auf dem Montmartre (Foto: Denise Zorzini)

Aus dem Haus gehen

Kurz bevor die Bars und Restaurants schlossen, statteten wir noch einmal dem Montmartre einen Besuch ab. Ein für die Jahreszeit außergewöhnlich heißer Tag lud uns ein, das dortige Museum zu entdecken, das inmitten eines Weinbergs liegt und die Geschichte des Lebens auf dem Montmartre anhand von Fotos, Gemälden und Kostümen erzählt. Dort konnten wir die Werke von Otto Freundlich, dem deutschen Maler und Bildhauer und  Pionier der Abstraktion und seine sehr bereichernden Notizen und Briefe entdecken, bevor wir uns wieder aufmachten, um durch die steilen Straßen zu schlendern.
Mit dem gebotenen Abstand von drei Metern zu den anderen Gästen hatten wir das Vergnügen, in einem typischen Restaurant auf dem Hügel zu Mittag zu essen (ein schönes Côte de bœuf aus Gers, als Beilage Pommes dauphine – die originalen – ganz knusprig…..). Wir haben immer noch bewegende Erinnerungen an diesen Tag, an dem der Ort uns zu gehören schien, da kaum Touristen dort waren.

Aber kehren wir zurück in die Gegenwart. Einige Restaurants haben begriffen, dass Innovation notwendig ist, um zu überleben. Das nennt sich “Click and Collect” und funktioniert sehr gut in Städten, in denen die Restaurants immer recht nah beieinander liegen und vielfältig sind. Das machen wir uns zunutze. Heute gibt es Couscous, heiß geliefert von einem Kurier auf einem Motorroller: ein bisschen mediterrane Wärme.

Die sozialen Bindungen aufrechterhalten

Danke Telefon. Vielen Dank an das Internet. Es lebe der Fortschritt!
Wir halten Kontakt zu allen unseren Freunden in Paris oder in der Provinz.
Oft drehen sich die Gespräche um Covid 19 und die Impfung: Ist jemand schon einmal Opfer des Virus geworden? Wie hat er es bekommen, wenn er alle Ratschläge befolgt hat? Ist er im Krankenhaus? Auf der Intensivstation? Bleibt ihr in Paris oder fahrt ihr in euer Ferienhaus? Senioren sind vorsichtig, sie haben Angst um ihre Kinder und Enkelkinder und vermeiden Kontakte. Und zum Thema Impfungen: Habt ihr schon einen Termin bekommen und wo? Welcher Impfstoff wird verwendet? Ihr seid vor kurzem geimpft worden, aber hattet ihr irgendwelche Nachwirkungen? Und bis wann seid ihr geschützt?

Ein paar Telefonate später springen wir in den Bus 39 in der Nähe der Porte de Versailles, wo keine Aussteller und Besucher mehr sind.
Auf Wiedersehen, Salon de l’Agriculture!
Ein großer Verlust. Anfang März zog die Messe jedes Jahr mehr als 500.000 Besucher aus ganz Frankreich an, hauptsächlich Familien, um sich dort über die Tiere und landwirtschaftliche Produkte zu informieren.

Wir überqueren die Seine in der Nähe des Louvre

In der Nähe des Palais Royal können wir beruhigt sein. Die Glaspyramide von Ieoh Ming Pei ist immer noch da.  Aber wo sind die Menschen? Seien wir ehrlich. Das war die Welt davor. Eine rauschende Welt der “tausend” Sprachen. Jetzt dominiert das Französische, während die Bateau-Mouches vorerst in Rente sind.

Die Rue de Seine hinauf und weiter Richtung Jardin du Luxembourg

Unterwegs laden uns viele Galerien zu einem Besuch ein. Geschlossene Museen = Galerien sind angesagt. Ja, wir sind hungrig nach Kultur. Ein virtueller Museumsbesuch ist zwar schön, aber jeder möchte den Gemälden oder Skulpturen so nahe wie möglich kommen.

Die Galerie Anne Julien in der Rue de la Seine

Warum also nicht in der Galerie Anne Julien vorbeigehen? Sobald wir eingetreten sind, bietet uns eine freundliche und gebildete Dame an, ein veritables kleines Museum zu entdecken, das Jean Cocteau gewidmet ist und dessen Werke zugänglich sind. Lieben Sie Cocteau nicht? Sie kann Ihnen ausführlich über Jean Marais, Marie Laurencin u.a. erzählen, die seine Freunde waren. Wenn Sie noch mehr Zeit haben: In der Rue de Seine gibt es Dutzende von Kunstgalerien, die nur auf Ihren Besuch warten.

Saint-Germain des Prés wiedersehen, so wie manche immer wieder gerne nach Venedig fahren …

In der Nähe der Place Saint Germain des Prés ist Traurigkeit garantiert.
“Le Flore” und “les Deux Magots”, legendäre Cafés, wo wir gerne eine heiße Schokolade tranken, sind jetzt geschlossen, die Kreuzung ist verwaist. Wo sind die Geister unserer großen Autoren aus Vergangenheit und Gegenwart, die diesen Orten treu waren?

Das Haus von Serge Gainsbourg

Ein paar Schritte weiter, in der Rue de Verneuil, drängen sich viele Serge-Gainsbourg-Fans vor seinem Haus-Museum, das groß beschriftet ist. Es ist bereits dreißig Jahre her, dass der Künstler in den Ruhestand ging.
Aber wie ein Kind kann man immer wieder in Begeisterung geraten, wenn man vor einer privaten Villa steht, deren offen gebliebenes Tor dazu einlädt, den von der Straße aus unsichtbaren Innengarten zu entdecken.
Unerwartete Begegnungen in diesem Viertel, in dem die Rues de Babylone, des Saints Pères, du Bac, de Sèvres, die sich den Pariser Touristen offenbaren, lassen uns ihre glücklichen Bewohner beneiden.

Fortsetzung des Spaziergangs

Die Rue de Rennes, die sich direkt bis zum Bahnhof Montparnasse erstreckt, wartet auf ihre üblichen Kunden. Die Schlussverkäufe sind vorbei, aber die Werbeaktionen werden fortgesetzt, um die Umsatzverluste aufgrund der vergangenen Ausgangsbeschränkungen auszugleichen. Als Opfer der Gelbwesten, die Paris für mehrere Wochenenden lahmlegten, und des darauf folgenden Covid werden einige Geschäfte schließen müssen. Man kann es sehen, man kann es fühlen! Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen.
Der Rentner, der von den auffälligen Schaufenstern und attraktiven Preisen angelockt wird, fragt sich: Brauche ich einen neuen Anzug, wenn ich meistens Jeans und ein Sakko trage?

Aber wir dürfen die Sperrstunde nicht vergessen. Beeilen wir uns! Es ist bereits 17:30 Uhr. Und die schlechte Nachricht: Unsere Bäckerei hat den Vorhang schon vor 18 Uhr zugezogen. Jetzt heißt es, eine andere zu finden, schnell! Wir haben unser Baguette! ….

Zurück nach Hause. Am Telefon mit Freunden die Welt erneuern. “Frankreich war nicht gut bei der Verteilung von Masken, Frankreich war nicht gut bei der Verteilung von Tests, Frankreich ist nicht gut bei den Impfungen…“ Wussten Sie, dass wir in Frankreich sechzig Millionen Präsidenten der Republik haben? Alle haben viel klügere Ideen!

Die Straße hat sich geleert, einschließlich der Pseudosportler, die sich gezwungen sehen, abends joggen zu müssen. Wenn die Ausgangssperre beendet ist, wird sich Frankreich zweifellos in Top-Kondition befindet. Schauen Sie sich nur die Umsätze in den Sportgeschäften an. Die Franzosen haben den Sport und die Lust am Heimwerken und Kochen für sich entdeckt.
Ich für meinen Teil steige auf meinen Heimtrainer, um meine tägliche halbe Stunde in die Pedale zu treten, bevor ich mich wieder an einen Artikel mache, der fertiggestellt werden muss.

Und heute Abend werden wir in Ermangelung eines Kinos, das ebenfalls wegen Covid geschlossen ist, wieder einmal auf dem gemütlichen Sofa vor einem Film oder einer Fernsehserie dösen. Bereits ein Gesprächsthema für morgen mit Freunden am Telefon.

Aber bevor ich diesen Beitrag beende, möchte ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben:
Touristen, die die Hauptstadt besuchen, solange die Bars und Restaurants geschlossen und zudem manche Toiletten “außer Betrieb” sind, sollten immer den Lageplan der öffentlichen Toiletten dabeihaben.

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Vielen Dank für diesen Ausflug, Patrick Rubise!
Der Autor bat uns, noch hinzuzufügen, dass die Pariser sehr besorgt seien, weil die Krankenhäuser immer voller würden und man mit strengeren Maßnahmen rechne, die in dieser Woche von der Regierung festgelegt werden. “Mais seul Dieu a les cartes !!!”