Die Steilwand

Am Wochenende kam es beim Tauchen an der Allmannshauser Steilwand binnen kurzem zu einem zweiten Todesfall. Erst Anfang Juni war eine 29-jährige Münchnerin beim Nachttauchen gestorben, und an diesem Wochenende erlitt ein sehr erfahrener 42-jähriger Tauchlehrer aus Peiting eine Embolie, weil er aus bisher ungeklärten Gründen zu schnell aufgestiegen war.

Wir befragten den Berger Lino von Gartzen dazu – er ist passionierter Taucher im Starnberger See.

QUH: Lino, erst im Februar hast du uns – gemeinsam mit deiner Frau Lena, die ebenfalls taucht – zuletzt ein Interview zum Tauchen in Unterallmannshausen gegeben. Damals hattet ihr die neuen Tauchregelungen für diese Stelle für ausreichend erklärt. Worin bestehen diese Vorgaben genau?
Lino: Damals wurden neue Regelungen zum Tauchen im Starnberger See erlassen, um einige der Risiken zu reduzieren, die in der Vergangenheit zu Unfällen beim Tauchen geführt hatten und zum Teil als Ursachen der Unfälle identifiziert worden sind.
Zusammengefasst sind das:

  • Verbot von Solotauchgängen
  • Generell sind die meisten Probleme unter Wasser bei guter Ausbildung leicht zu lösen, in manchen Fällen ist aber die Hilfe eines Tauchpartners von Vorteil. Generell kann man sagen, dass bei konsequenter Beachtung und Durchführung des so genannten Buddy-Systems das Risiko eines Unfalls gegen Null geht. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man seinen Tauchpartner in der Nähe hat und ihn nicht aus den Augen verliert.

  • Tiefenlimit von 40 Metern für Drucklufttauchgänge:
  • Ab einer Tiefe von 40 Metern kann es bedingt durch den hohen Druck der
    Atemgase bei der Nutzung von Druckluft (aufgrund des hohen Stickstoff-Anteils) zu einer Beeinträchtigung von Reaktionszeit, Wahrnehmung und Einschätzungsfähigkeit kommen, der sogenannte Tiefenrausch. Diese Beeinträchtigung betrifft jeden Taucher mehr oder weniger intensiv, steigt aber in Stress-Situationen aufgrund der dann stärkeren Atmung. Aus diesem Grund wird auch von fast allen Tauchverbänden weltweit 40 Meter als Tiefenlimit (bei Druckluft als Atemgas und bei entsprechender Ausbildung) festgelegt. Eine Ausnahme bildet dann das “technische Tauchen”.
    Will man tiefer tauchen als 40 Meter, benutzt man hier einen entsprechenden Anteil an Helium im Atemgas, um den Anteil an Stickstoff und somit die möglichen Beeinträchtigungen zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Das technische Tauchen setzt eine langwierige und intensive
    Tauchausbildung voraus, die deutlich über das Niveau einer “normalen” Sporttauchausbildung hinausgeht. Für “Technische Taucher” eines anerkannten Tauchverbandes und bei Nutzung spezieller, für die Tiefe geeigneter Gase ist ein Tauchen jenseits der 40 Meter möglich und erlaubt.

  • Nachttauchverbot
  • Nachttauchen hat einen besonderen Reiz, sieht man hier die ganzen nachtaktiven Tiere im See. Gerade aber was die Einhaltung des “Buddy-Systems” betrifft, erhöht es aber die Gefahr, seinen Tauchpartner zu verlieren. Zudem erschwert es mögliche Hilfs- bzw. Rettungsmaßnahmen.


Die Steilwand

QUH: Leider kam es in einem sehr kurzen Zeitraum zu zwei Todesfällen. Muss etwas unternommen werden? Sollten die Vorgaben und Regelungen verschärft werden?

Lino: Die bereits vorhandenen Regelungen entsprechen den Standards der Tauchverbände und sind Grundlage für ein möglichst sicheres Tauchen. Seit ihrer Einführung gab es, bis zu den traurigen aktuellen Unfällen, auch keine schweren Unfälle mehr am Starnberger See. Statistisch gesehen ist Tauchen als solches kein gefährlicher Sport, die Folgen bei einem der an sich relativ seltenen Unfälle sind aber meistens gravierend. Aufgrund dieser Tatsache taucht der Tauchsport bei den meisten Unfallstatistiken nicht auf, und wenn dann zusammengefasst mit anderen Wassersportarten.
Es gibt eine recht verlässliche Statistik zu tödlichen Unfällen. In dieser Statistik wurde das Risiko beim Tauchen nur unwesentlich höher eingestuft als beim Schwimmen, verglichen mit dem Tauchen (Faktor 1.98) gelten Sportarten wie Motorradfahren (8,8), Sportfliegerei (15) und Fallschirmspringen (128) als viel riskanter.

Dennoch, wie bei allen Sportarten besteht ein gewisses Restrisiko auch beim Tauchen. Meistens sind es nicht einzelne Probleme, die zu schweren oder tödlichen Unfällen geführt haben, sondern eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände. Zudem kommen neben technischen oft auch gesundheitliche, körperliche Probleme hinzu. Aus diesem Grund gibt es für Taucher auch jedes Jahr, bzw. alle 2 Jahre eine Untersuchung ihrer Tauchtauglichkeit.


Quappe

QUH: Ratet ihr Tauchern, diese Stelle besser zu meiden? Wie wird das in Taucherkreisen diskutiert?
Lino: Für die tragischen Unfälle an der Steilwand, aktuell und in der Vergangenheit, gibt es verschiedenste Ursachen, die nicht zwangsläufig mit dem Tauchplatz in Verbindung zu bringen sind:

Ich würde schätzen, dass an die 95% aller Tauchgänge im Starnberger See an dieser Stelle durchgeführt werde. Da die Bayerischen Seen nicht übermäßig mit Korallengärten und Großfischen bevölkert sind, bietet diese Stelle ein Highlight der bayerischen Unterwasserwelt. Schwerelos kann man hier an wunderschönen, teils senkrecht abfallenden Felsformationen vorbeigleiten. Evtl. können Bergsteiger diese Faszination nachvollziehen. Einer der ersten Tauchsportvereine, in Südfrankreich gegründet, hatte übrigends den Namen “Unterwasser Alpinisten”. In den Felsspalten sieht man Quappen, und die Landschaft bietet einen schönen Kontrast zu dem sonst doch sehr schlichten einheitlich mit Seekreide bedeckten Seegrund.

Zu den traurigen, aktuellen Unfällen kann ich nichts sagen, da mir keine detaillierten Untersuchungsergebnisse bekannt sind. Bei den Unfällen der Vergangenheit lässt sich meines Wissens kein Muster erkennen, das einen Rückschluss darauf zulässt, dass diese ursächlich mit den Besonderheiten des Tauchplatzes zu tun hätten. Unter den Opfern gab es unerfahrene Taucher oder Tauchschüler, aber auch sehr erfahrene Taucher bzw. Tauchlehrer. Die Tiefe, in der sich die Unfälle ursprünglich ereignet hatten, lag in verschiedensten Bereichen. Die Ursachen waren auch unterschiedlich, von technischen bis zu körperlich/psychischen Problemen. Aus meiner Sicht deuten diese Daten darauf hin, dass kein direkter Zusammenhang mit dem Tauchplatz besteht. In einigen Fällen hätte unter Umständen ein konsequentes Durchführen des Buddy-Systems und somit enger Kontakt/Abstimmung mit dem Tauchpartner Schlimmeres verhindern können. Aber diese Spekulation basiert nur auf der Erkenntnis, dass die meisten Probleme unter Wasser von eingespielten Tauchpartnern sicher gelöst werden können. Diese Problemlösungen sind ein Hauptbestandteil einer guten Tauchausbildung, beim technische Tauchen wird noch ein besonderer Fokus auf Selbsthilfe und Problemmanagement gelegt.


Krebs im Starnberger See

Natürlich bleibt aber dennoch wie bei anderen Sportarten ein Restrisiko bestehen (gesundheitliche Probleme, Verkettung mehrerer technischer Probleme, evtl. noch verbunden mit dem Verlust des Tauchpartners.)

Ein generelles Tauchverbot an der Steilwand ist aus meiner Sicht nicht angebracht, da der Tauchplatz an sich vermutlich wenig bzw. nichts mit den Ursachen der Unfälle zu tun hat. Es wäre zudem ein Verlust für die Freunde des Tauchens im Starnberger See, da somit einer der schönsten Tauchplätze in Bayern nicht mehr betauchbar wäre. Die vor einigen Jahren erstellten Bestimmungen sind ausgewogen und sehr sinnvoll für ein möglichst sicheres Tauchen im Starnberger See.

Als liberal denkender Mensch bin ich zudem der Meinung, dass wir in Bayern auch nicht an einem Mangel an Regeln und Verordnungen leiden. Wie würde der Bergsteiger reagieren, wenn man die Zugspitze sperren würde? (Auch hier gab es immer wieder Unfälle.) Oder dem Schwimmer der Zugang zum See zu seiner eigenen Sicherheit verwehrt werden würde? Ohne Polemik: Wir alle, vom Motorradfahrer bis zum Fallschirmspringer, lieben unseren Sport. Wir sind uns des wenn auch teilweise sehr geringen Restrisikos bewusst, und nehmen es freiwillig in Kauf.

Letztendlich erscheinen mir daher, wie in diesem Fall des Tauchens durch das Landratsamt geschehen, sinnvolle Regelungen, die die Grundlagen für eine möglichst sichere Sportausübung darstellen, deutlich sinnvoller und
liberaler als generelle Verbote.

QUH: Lino, vielen Dank für diese ausführliche Stellungnahme.

Fotos: Lino von Gartzen. Hier der Link zu einem Beitrag, der gestern im Bayerischen Fernsehen dazu lief: http://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/abendschau/abendschau-archiv-gestern-ID1198851051242.xml