Biografisches Schreiben – Dagmar Wagner hält Vortrag in Aufkirchen


Dagmar Wagner am Apfel

Mit ihrem Dokumentarfilm “Das Ei ist eine geschissene Gottesgabe” gewann Dagmar Wagner 1993 den Bayerischen Filmpreis. Vom Filmemachen hat sich die mittlerweile seit Jahren in Berg wohnhafte Regisseurin – und studierte Kommunikationswissenschaftlerin – etwas abgekehrt. Sie arbeitet nun lieber anderen zu und hat einen ganz neuen Bereich für sich entdeckt – sie möchte Biografien in unterschiedlichen Medien betreuen. Gemeinsam mit Dr. Andreas Mäckler, “ein Pionier biografischen Arbeitens in Deutschland”, wie sie schreibt, hält sie heute Abend um 19:30 Uhr in den Räumen der Gemeindebücherei Aufkirchen einen Vortrag zum Thema “Mein Leben. Wie schreibe ich meine eigene Lebensgeschichte auf”.

Wir wollten mehr wissen und meldeten uns bei Dagmar:

QUH: Liebe Dagmar, gestern wurde in der SZ dein Vortrag in Aufkirchen angekündigt, und dabei stand, dass du gerne Interviews führst. Wunderbar – lass uns doch gleich mit einer praktischen Übung anfangen! Welche drei Fragen würdest du dir selbst stellen? Wir sind natürlich auch gespannt auf die Antworten!

Dagmar war sofort einverstanden – hier ihr Interview mit sich selbst:

Dagmar Wagner: Was fasziniert mich so am Umgang mit Erinnerungen?
Dagmar Wagner: Wenn ich nicht selbst erlebt hätte, wie hilfreich so manche familiäre Informationen sein können, wäre ich wahrscheinlich gar nicht auf Idee gekommen, meine berufliche Tätigkeit dahingehend auszuweiten. Meine Mutter ist ein Flüchtlingskind aus Ostpreußen, sie war mit ihrer Zwillingsschwester und Mutter vier Jahre lang auf der Flucht, im Alter von vier bis acht Jahren. Es ist gar nicht so lange her, fünf Jahre vielleicht, da fing sie plötzlich ganz unvermittelt an, nach dem Weihnachtsbraten von dieser Zeit zu erzählen.
Während sie sprach, herrschte absolute Stille, keiner rührte sich mehr.
Es hat uns allen weh getan, was sie da erlebt hat. In diesem Moment aber habe ich meine Mutter zum ersten Mal verstanden, vor allem die schwierigen Seiten an ihr. Und ich habe plötzlich ganz ganz viel von mir verstanden, denn diese Erlebnisse setzen sich fort. Sie hören nicht mit einem Leben auf.
Wir hatten alle danach eine „neue“ Mutter, und für jeden war es eine Erleichterung, auch wenn es schwer war, ihre Erzählung auszuhalten.

Dies ist nur eine Geschichte von vielen als Beispiel, warum es wichtig sein kann, mehr voneinander zu erfahren. Umgekehrt höre ich oft, wenn Freunde, Bekannte oder auch Verwandte es versäumt haben, Fragen zu stellen an eine Person, die ihnen wichtig war. Das bedauern sie dann ihr ganzes Leben lang.

Ich glaube jeder hat ein paar Dinge, die er – meistens seinen engeren Familienangehörigen – sagen oder erklären möchte. Aber seien wir mal ehrlich – wer macht das schon? Ich nehme mich da gar nicht aus, bemühe mich aber zumindest darum. Und so komme ich zu meiner nächsten Frage:

Dagmar Wagner: Wie ehrlich wäre ich bei meiner eigenen Biografie?
Dagmar Wagner: Diese Frage habe ich mir tatsächlich selbst schon oft gestellt. Schwierig, schwierig! Aber es ist wichtig, dass ich mich das selber frage, denn meinen Kunden rate ich schon, möglichst ehrlich zu ein. Außerdem: Ich muss ja auch verstehen können, dass das nicht immer einfach ist. Als Biografin habe ich auch kein Recht dazu, das meinen Kunden vorzuwerfen. Wer bin ich denn?
Nun, ich denke, ich würde mich bemühen, nicht kneifen zu wollen, aber auf die Wortwahl kommt es halt an. Das kann vielleicht nicht jeder, auch darum kann eine Biografin hilfreich sein. Dazu werden wir auch morgen ein paar Tipps geben.

Dagmar Wagner: Muss ich jedem raten, sein ganzes Leben aufzuschreiben?
Dagmar Wagner: Nein, das muss ich nicht. Manche wollen auch nur bestimmte Lebensabschnitte festhalten.
Biografisches Arbeiten meint nämlich nicht, dass man nun Jahr für Jahr chronologisch sein ganzes Leben durchforstet – das wäre ja eher ziemlich langweilig. Das hat jedenfalls die Erfahrung gezeigt. Die meisten Menschen suchen nach einem Zusammenhang, nach dem roten Faden ihres Lebens, und den finden sie dann auch. Danach fühlen sie sich ruhiger, insgesamt einfach wohler. Das hat auch die Forschung belegt: Wer biografisch arbeitet, ist gesünder, auch, weil es einfach Spaß macht. Man wird aktiver, redet mehr mit anderen, recherchiert, das Leben wird lebendiger.

Und es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten und auch Tipps, wie jeder das kostengünstig selber machen kann. Toll finde ich auch die Idee, Kurzgeschichten zu einer Person in einem Bändchen zu sammeln, und dann zu besonderen Anlässen zu verschenken – an Stelle eines teuren Fresskorbs oder sonstigen Dingen, die oft gar keinen Sinn machen!

QUH: Vielen Dank für das selbst geführte Interview, liebe Dagmar!