Selbst bei uns auf dem Dorf dürfte es sich herumgesprochen haben, dass genau vor 100 Jahren Kurt Eisner (von der USPD) in München nach einer friedlichen Revolution den Freistaat Bayern ausgerufen hat. Unser berühmtester Sohn der Gemeinde, Oskar Maria Graf, war in vorderster Front dabei. Wie unspektakulär die Revolution teilweise selbst in München aussah und wie ungerührt die weltbewegenden Ereignisse bei uns auf dem Dorf wahrgenommen wurden, schildert er in seinem Werk “Wir sind Gefangene”:
Oskar Maria Graf vor der Revolution als renitenter Soldat (um 1916)
“Die Revolution hatte gesiegt. Alles war in ihren Händen, Post und Telegraph, Bahnhof und Residenz, Landtag und Ministerium. – Ich hatte Hunger. ‘Gehn wir in die Wirtsstube und essen und trinken was’, sagte ich zu Schorsch. Wir drängten uns durch und traten in das rauchige Lokal. Dort saßen breit und uninteressiert Gäste mit echt Münchnerischen Gesichtern. Hierher war nichts gedrungen “Wally an Schweinshaxn!” rief ein beleibter rundgesichtiger Mann der Kellnerin zu. Dort saß einer, dort spielten sie Tarock wie immer. Niemand kümmerte sich um uns.
“Mensch! Sowas!”, konnte ich nur herausbringen, so verblüfft war ich. Wir bestellten Bier und Wurst und schlangen alles hastig hinunter. Ich horchte aufmerksam, ob nicht doch irgend jemand wenigstens einWort über die Geschehnisse sagen würde. Nichts, gar nichts davon!
“Wally, an Schweinshaxn!” Dies schien hier die einzige Situation zu sein.”
Oskar Maria Graf nach der Revolution (nach 1918) als Münchner Bohemien
Besonders verblüfft war der Revolutionär Oskar Maria Graf darüber, wie wenig das Ende des Krieges und des Königreiches Bayern – und damit der Beginn der modernen Zeit – in Berg wahrgenommen wurde.
“Auf dem Lande war es wie immer. Jeder arbeitete, die Erlasse hingen zerregnet im Gemeindekasten, kein Mensch sah sie an. Niemand kümmerte sich hier um die Ereignisse. Keiner sagte auch nur ein Wort davon.
Meine Mutter lachte uns an, als wir in die niedere Küche traten, mein Bruder Maurus, der erst kurz vom Feld heimgekommen war, hackte Holz im Hof, Theres nähte in der Stube. Wir tranken Kaffee.
“Geht’s in der Stadt drinnen recht zu? fragte Maurus gleichgültig.
Ich wollt erzählen. Er lächelte ironisch: “Die Hauptsach ist, dass der Krieg aus ist … die machen’s auch nicht besser.”
“Aber jetzt regieren wir!” prahlte ich dumm.
Er sah ich hämisch an und rief: “Ihr? … Da wird gewiß was Gescheites draus!” …
Wir verabschiedeten uns. Hinten beim Dorf gingen wir über die stoppeligen winterharten Felder. Ein Hase lief aufgescheucht eine Ackerfurche entlang, Ragen flogen krähend in die Luft, die Postkutsche fuhr auf der Straße, und aus meinem Schuldorf Aufkirchen liefen die Kinder. … eine leichte Traurigkeit empfand ich.
“Da machen sie Kriege und Revolutionen und rennen herum und kämpfen, lassen sich totschießen für fixe Ideen, machen Gesetze, verbieten und verhaften … Und da heraußen, rundherum, geht alles den gewöhnlichen Gang: Der Bauer ackert, das Korn wächst, es wird Winter und Sommer, die Menschen fangen an und sterben, und alles ist friedlich und schön … Zu was eigentlich dieser ganze Rummel?”
Oskar Maria Graf besucht seinen Bruder Maurus in Berg (1925)