Der Berger Kulturverein mit dem neuen Vorstand von Elke Link, Dr. Ludwig Steindl und Nils Schad feiert gerade eine grandiose Veranstaltung nach der anderen. Letzte Woche war der – in Zusammenarbeit mit dem Gemeindearchiv – veranstaltete Abend “Hau ab! Flüchtlingskind!” ein so großer Erfolg, dass die über 100 Besucher/innen in der Gemeindebibliothek sogar auf den Fensterbrettern Platz nehmen mussten. Es war die vielleicht letzte Gelegenheit, bei der mehrere Zeitzeugen eindrücklich von ihren Erfahrungen nach dem Kriegsende 1945 aus persönlicher Erinnerung berichten konnten.
In der Mehrzahl Flüchtlingskinder: Der volle Saal der Berger Gemeindebibliothek
Anlass des Abends war eine Lesung aus dem Buch “Hau ab! Flüchtlingskind” der Bergerin Birte Pröttel. Ihre Texte über ihre Flucht aus Stettin gegen Kriegsende vor fast genau 80 Jahren wurden von dem in Höhenrain geborenen Schauspieler Jürgen Tonkel (von ihr liebevoll “Mein vierter Sohn” genannt) effektvoll vorgetragen. Schon damals waren Sprachprobleme – und seien sie nur das Schwäbische – die größten Hindernisse bei der Integration.
“Flüchtlingskind” Birte Prötte, der Moderator und maßgebliche Organisator des Abends Heinz Rothenfußer, oben Birtes Familie
Zu Beginn des Abends hatte Heinz Rothenfußer, der durch die Veranstaltung führte und mit Alois Brustmann auch den musikalischen Rahmen lieferte, gefragt, wer aus dem Publikum familiär keinen Flüchtlingshintergrund habe … mehr als die Hälfte der Zuhörer/innen meldeten sich. Manfred Lindovsky vom Gemeindearchiv lieferte dazu Dokumente und Zahlen:
Allein in Höhenrain mussten die damals 955 Einwohner insgesamt 400 Geflüchtete aufnehmen. Dass dies nicht ohne soziale Spannungen verlief, davon erzählte Renate Rüter, die damals in Berg – eigentlich priviligiert in der Villa de Osa – untergebracht worden war. Anfangs wurde sie erst selbst oft als Flüchtlingskind verprügelt, dann wollte sie so leidenschaft dazugehören, dass sie, wie sie schamvoll gestand, weitere Neuankömmlinge fleißig mitverprügelte.
Verprügelt worden und selbst verprügelt: Renate Rüter, 1946 Flüchtlinkskind in Kempfenhausen
Nach der Pause führte der überaus gelungene, bewegende und gut durchdachte Abend dann in die Gegenwart. Die beiden geflüchteten Ukrainerinnen Lesia Kyryliuk und Oksana Demyanova lasen aus des Erinnerungen ihres 2022 mit 95 Jahren in Berg verstorbenen Landsmannes Eugen Timtschenko, der in Aufhausen erst in einem Pferdestall und dann auf dem Melder-Hof aufgenommen wurde und seine Erinnerungen unter dem Titel “Meine bewegte Kindheit” aufgeschrieben hat.
Geflüchtete heute: Oksana und Lesia aus der Ukraine
In der anschließenden Diskusson wurden die beiden jungen Damen dann nach ihren persönlichen Erlebnissen in Berg gefragt. Dank ihrer Sprachkenntnisse seien sie gut integriert, sie wussten aber auch von Beispielen, in denen das Miteinander nicht funktioniert habe … einige Freundinnen seien enttäuscht zurück in die Ukraine “geflüchtet”.
Ein ebenso bewegender Abend klang musikalisch aus mit DEM Nachkriegshit, mit dem sich Deutschland Anfangs der fünfziger Jahre selbst in die Ferne wünschte: den Caprifischern, bei dem die Mehrzahl des Publikums (wie zuvor schon beim Flüchtlingssong “Lilli Marleen” laut mitsang. Heinz Rothenfußer, unser unermüdlicher Archivar, hätte sich noch etwas mehr Erzählungen aus dem Zuschauerraum gewünscht … wer noch Erinnerungen zu erzählen hat, wende sich bitte an ihn oder das Archiv der Gemeinde Berg.
Bergs 3. Bürgermeisterin Elke Link bedankt sich bei den Mitwirkenden
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